Nicodemus
seinen Speer hineingedreht, so dass die Widerhaken tief in seinem Hinterleib stecken blieben.
»Magistra«, rief Kale und fertigte einen Knüppel aus ein paar ungehobelten Ausdrücken. »An der Brücke!« Mit einem mächtigen Schlag spaltete er den Kopf des Wesens.
Hinter ihrem Sekretarius sah Amadi eines der Geschöpfe auf die Brücke zueilen. Indes hatte sie schon einen weiteren schneidenden Gegenzauber geformt. »Wo ist das Vierte?«, brüllte sie. »Such es.«
Wie geschrieben verteilte sich ihr Gegenzauber in der Luft und sandte einen Hagel aus Klingen auf den Unglückswurm nieder. Quiekend und knackend fiel er in sich zusammen.
»Ich sehe das Vierte nirgends!«, rief Kale. »Ich sehe es einfach nicht!« Hektisch blickte er sich um.
Amadi stockte der Atem. Keine acht Fuß hinter Kale hatte es eines der Regale erreicht, sich auf den Hinterleib erhoben und riss nun mit seinen Kinderhänden einen schweren Kodex herunter.
»Hinter dir!«, schrie sie.
Gerade als Kale herumwirbelte, öffnete der Riesenwurm das Buch. Der Kopf des Wesens leuchtete in einer Wolke goldglänzender Prosa auf.
Kale stürmte los. Doch während der Speer durch die Luft sirrte, presste es seinen Kopf in das Buch. Augenblicklich vertextete sich der gesamte Körper und verschwand in den Seiten.
Der Kodex fiel zu Boden, und Kales Speer traf ins Leere.
»Verdammt! Weg von dem Buch!«, befahl Amadi. Gewandt sprang Kale zurück. Amadi kam herbeigerannt und umhüllte den infizierten Kodex mit einem dicken Magnusschild.
»Magister, was ist geschehen?«, fragte eine verängstigte Stimme.
Als Amadi aufsah, erkannte sie den Jungen, der sie in die Bibliothek geführt hatte. Er starrte Kale fragend an.
»Was war das?«, fragte der Junge.
Kale ging in die Hocke, um ihm in die Augen zu sehen. »Ist dir auch nichts passiert, mein Junge? Die Gefahr ist vorüber, aber wir sollten hier nicht so herumstehen.«
Der Junge nickte und ließ sich von Kale wegziehen. »Was waren das für …?«
»Runenwürmer«, erklärte ihm Kale mit ernster Miene. »Boshafte Worte, die in Manuskripte dringen. Sie verschlingen den gesamten Text und nutzen ihn, um sich zu vervielfältigen. Werden es zu viele, zerreißt es das Werk, und die Würmer nutzen die Explosion, um weitere Bücher zu befallen.«
»Und so ein Ding ist in dieses Buch da gelangt?«, fragte der Kleine.
»Darum versiegelt die Magistra es mit einem Magnuszauber. Wenn es platzt, kann uns nichts passieren.«
Bisher hatte Amadi noch nie einen infizierten Kodex verschlossen, und so war sie erleichtert, als sie eine Schar Bibliothekare herbeieilen sah. Angeführt wurde sie von einer uralten Zaubermeisterin, die das Gewand einer Stellvertreterin des Provost trug.
»Wächterin Amadi Okeke aus Astrophell, vermute ich?«, dröhnte die Stimme der Stellvertreterin. Sie war klein und dickleibig. Ein schütterer Kranz aus weißem Haar umgab ihr runzeliges Gesicht. Ihre Kapuze war mit orangefarbenem Stoff gefüttert, was daraufschließen ließ, dass sie eine Bibliothekarin war. In Anbetracht ihrer Stellung war sie zweifellos Starhavens Bibliotheksvorsteherin.
»Ja, Magistra«, platzte Amadi heraus und verfluchte sich insgeheim dafür, dass sie sich den Namen der Frau nicht gemerkt hatte.
Ohne viel Federlesens kam diese direkt zur Sache. »Gebt mir einen Lagebericht.«
»Eine gewaltige Explosion hat vier Runenwürmer hervorgebracht«, berichtete Amadi. »Drei der Flüche konnten wir zerstören, der vierte hat diesen Kodex infiziert.«
Die uralte Zauberin gab einem der Bibliothekare hinter ihr ein Zeichen. »Überlasst das Buch Magister Luro. Er wird den Fluch brechen oder das Buch zerstören.«
Amadi reichte den Kodex dem jungen Zaubermeister, der vorgetreten war.
Einen Augenblick lang musterte die Stellvertreterin des Provost sie. »Magistra, wir sehen uns mit einer Runenwurmplage konfrontiert, wie ich sie noch nie erlebt habe. Starhavens Sprachwehre gehören weltweit zu den verlässlichsten, und dennoch konnten sich die Flüche in vier unserer Bibliotheken einnisten und in Windeseile Handschriften von unschätzbarem Wert zerstören.«
Fassungslos schüttelte die Greisin den Kopf. »Die Geschöpfe haben dreifache Kognition, und ihre Basiszauber lassen sich einzig mit den direktesten Methoden bekämpfen. Wer immer sie geschrieben haben mag, muss über verblüffende Erkenntnisse textlicher Intelligenz verfügen.«
»Textliche Intelligenz?«, wiederholte Amadi. Das war Shannons Spezialgebiet.
»Allerdings«,
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