Nie genug (German Edition)
genau, wo Sam her kommt und welche Traditionen dort herrschen.
„Natürlich nicht, Emma.“ Er schüttelt lachend den Kopf und drückt auf die Klingel. Sofort wird die Tür von einer zierlichen Frau mit heller Haut, Sommersprossen und roten Haaren, die von grauen Strähnen durchzogen sind, aufgerissen.
„Sammy“, ruft sie sofort und fällt ihm um den Hals. Er lässt meine Hand los und hebt sie ein Stück vom Boden, um sie in seine Arme zu schließen. Doch sie klopft ihm empört auf den Brustkorb.
„Lass mich runter, Junge. Ich bin zu alt dafür. Das sag ich dir jedes Mal.“
Ich hab die Fakten noch nicht ganz zusammengebracht, was man mir wohl auch ansieht. Die rothaarige Frau hakt sich bei Sam ein und sieht zu ihm hoch.
„Hast du das arme Mädchen auflaufen lassen?“, fragt sie tadelnd. Er hebt abwehrend die Hände.
„Sie hat nicht gefragt“, rechtfertigt er sich.
Sams Mutter wendet sich an mich und reicht mir zur Begrüßung die Hand.
„Du musst Emma sein. Ich bin Brigitte. Und das ist mein Sohn Sam, den ich vor 31 Jahren adoptiert habe.“
Genau deswegen ist es in meinen Augen zu früh hierfür. Ich weiß nichts von ihm.
„Es freut mich, sie kennenzulernen“, sage ich und funkele Sam von der Seite an, der jetzt die Unschuld in Person spielt. „Sam hat mich vor vollendete Tatsachen gestellt und ist einfach mit mir hierher gefahren.“
„Ich sehe schon. Kein Problem, Emma. Er hat euch heute Morgen angemeldet.“
Ich werfe Sam einen strafenden Blick zu. Brigitte lässt ihn los und hakt sich bei mir ein, um mich ins Haus zu führen.
„Hat er dich wirklich nicht darüber aufgeklärt, dass er adoptiert ist?“ fragt Sams Mutter in der Küche. Sie stellt mir einen Becher Kaffee vor die Nase und widmet sich wieder der Essenszubereitung, während sie sich mit mir unterhält. Sam ist zu seinem Vater, den ich bis jetzt noch nicht kennengelernt habe, in den Wintergarten gegangen.
„Wir kennen uns noch nicht lange. Das Thema ist bisher nicht aufgekommen. Eigentlich spielt es ja auch keine Rolle.“
„Meine Rede, Emma. Du bist wirklich so hübsch, wie er dich beschrieben hat.“ Sie nimmt einen kleinen Löffel aus der Besteckschublade, um die Soße für die Rouladen abzuschmecken. Ich bin irgendwie irritiert darüber, dass Sam aus so einem gewöhnlichen, deutschen Elternhaus kommt. Sein Aussehen ist scheinbar das einzig Exotische an ihm.
„Danke“, erwidere ich leise, auch wenn ich ihr Kompliment abwehren möchte.
Sam kommt in die Küche und setzt sich zu mir an den Tisch. Er zwinkert mir zu, und klaut mir einfach meinen Kaffee. Seine Mutter dreht sich um, und verpasst ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Er ist so überrascht, dass er fast den Kaffee wieder ausspuckt.
„Wofür war das denn?“, fragt er empört.
„Dafür, dass du deine hübsche Freundin nicht aufklärst, bevor du sie einfach hier hinschleppst. Sie war ja völlig verunsichert.“
Ich glaube, ich liebe Sams Mama jetzt schon. Sie ist zwar nur etwa halb so groß wie er, aber dafür hat sie ihn auch jetzt noch sehr gut im Griff. Kichernd hole ich mir meine Tasse zurück und trinke den Rest aus.
„Du kannst Emma das Haus zeigen, bis ich das Essen fertig habe“, wendet sich Brigitte an Sam.
„Heißt im Klartext, wir sollen aus ihrer Küche verschwinden“, sagt er zu mir.
„Samuel!“, klingt es drohend vom Herd. Sam reißt die Augen auf und zuckt zusammen. Faszinierend.
„Wir verschwinden besser.“ Er zieht mich vom Stuhl hoch und geht mit mir aus dem Raum.
Natürlich machen wir noch einen kleinen Umweg über den Wintergarten, wo ich auch Sams Vater kennenlerne. Er ist ein ruhiger, aber freundlicher Mann, der mir auch gleich das Du anbietet. Der Schalk blitzt aus seinen Augen. Man erkennt sofort, wo Sam diesen Charakterzug erlernt hat.
Bernd entlässt uns auch gleich wieder auf unsere Tour durchs Haus.
„Soll ich dir mein Zimmer zeigen?“, fragt Sam und wackelt anzüglich mit den Augenbrauen. Er zieht mich eine kleine Treppe hoch und schiebt mich ins erste Zimmer auf dem oberen Flur. Der Raum ist bis unter die Decke mit Zeichnungen tapeziert. Ansonsten gibt es nur noch ein altes Jugendbett und einen Kleiderschrank sowie einen Schreibtisch. Andächtig gehe ich durchs Zimmer und sehe mir die Zeichnungen an. Ich habe ihn zwar bei der Arbeit beobachtet, aber bisher habe ich noch keine Resultate gesehen. Er ist wirklich gut.
„Die sind toll. Ich hatte keine Ahnung.“
Sam lehnt an der geschlossenen Tür und
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