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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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ging.«
    Sie hieß so, weil es meine vierte Einzelausstellung war und mir kein besserer Name einfiel, das sagte ich aber nicht.
    »Welche Städte waren es?«, fragte Maybritt eher sich selbst als mich. »New York und Rio, das weiß ich noch. Eine russische. Und Tel Aviv, richtig?«
    »Ich glaube.«
    Sie ließ sich von meiner Einsilbigkeit nicht beirren: »Ein paar Bilder haben mir gut gefallen, besonders die fast leeren, wo nur noch eine Linie und ein paar Punkte oder Striche zu sehen sind. Hat sich deine Schwester deine Ausstellungen angesehen?«
    Jetzt fehlte nur, dass sie sagte, wie leid ihr alles tat.
    »Ich hatte nicht sehr viele Ausstellungen.«
    Aber sie sagte es nicht, sondern lächelte bloß schön und schwärmte von den beiden Jungs. Jesse sei klasse, ein starker Typ. Sie mochte ihn sehr.
    »Hier –«, sie zeigte mir das Foto von der Pegasusbrücke in Kevins Mappe, »ich glaube, von der hängt oben irgendwo in einem Flur eine Zeichnung. Oder? Ich glaube, es ist dieselbe.«
    Es gab zwei Pegasusbrücken, eine alte, die abgetragen und in einem Freilichtmuseum am Caen-Kanal wiedererrichtet worden war, und eine viel größere neue. Maybritt schien das nicht zu wissen, und auch darüber hatte ich keine Lust zu reden.
    Ich fragte, wer die ganzen Bilder gesammelt hatte, doch sie wusste nicht viel über das Hotel. Es gehörte zwei alten Damen, Schwestern, die zurückgezogen in Cherbourg lebten. Ove telefonierte manchmal mit einem ihrer Söhne, einem Schrott- und Gebrauchtwagenhändler aus Bayeux, der humorvollste Mensch war der nicht grad! Er hieß Flaubert, wie der große Schriftsteller aus der Normandie, der Madame Bovary geschrieben hatte. Mitte der Woche wollte er kommen und nach dem Rechten sehen.
    »Dann kannst du Flaubert kennenlernen! Na, ist das was?«
    Mit gespielter Vorfreude nickte ich eifrig, und sie freute sich, mich aus der Reserve gelockt zu haben.
    Seit zwei Jahren stand das L’Angleterre leer. Es gab wohl einen amerikanischen Kaufinteressenten, aber der schob seine Entscheidung immer wieder hinaus und war außerdem alles andere als glücklich über das Vogelschutzgebiet. Und auch die Mauer wollte er einreißen lassen.
    Man hörte Catinka und den Hund auf der Treppe. Carlo sprang in die Küche, roch an meinem Hosenbein, um sicherzugehen, dass ich noch derselbe war wie gestern Nacht, und stellte sich mit wedelndem Stummelschwanz an die Tür, die über ein paar Stufen zum Hotelhof hinaufführte.
    Maybritt ließ ihn hinaus in den Regen.
    »Na los! Schieß ab, du Rakete«, rief sie durch einen Schwall kalter Luft, der zur Tür hereinkam. Ich sah, wie sie an den Armen mit dem rötlich blonden Flaum eine Gänsehaut bekam.
    Als ich mich umdrehte, lehnte Cat neben mir.
    »Hier«, sagte sie im selben Ton wie ihre Mutter und legte mir eine orangerote Sammelkarte mit silbernem Rand auf die Hand. »Ich schenk sie dir. Es ist die schönste von Padmé Amidala, die ich habe. Vorsicht! Sie ist sehr wertvoll.«
    Ich ließ die beiden allein und ging nach oben in den ersten Stock, entdeckte dort unter den Hunderten von weiteren Bildern aber nirgends die Zeichnung von der Brücke, die Maybritt Juhl gesehen haben wollte. Ohnehin würde sie mir kaum weiterhelfen können, also war es einerlei. Im zweiten Stock rauschte die Dusche, doch weil nirgends eine Tür offen stand, wusste ich nicht, ob Jesse aufgestanden war oder Niels oder dessen Schwester.
    Ich setzte mich auf mein Bett und blätterte das Dossier durch. Am weitesten entfernt war die Ruine des Eisenbahnviadukts von Souleuvre, am schnellsten würde ich an der Pegasusbrücke sein. Nicht gleich den erstbesten, lieber den fernsten Punkt anpeilen, hätte mein Vater gesagt. Nimm das in Angriff, wozu du keine Lust hast, auch wenn das einem Kritzler schwerfällt. Dann kannst du stolz auf dich sein. Und sogar du hast was geschafft. Ich wollte weder etwas schaffen noch leichter durchs Leben kommen, sondern mein Unbehagen behalten. Ich wollte nicht, dass immer alles erklärbar war, alles gesichert, sodass einem nichts zustieß. Gnade! Etwas soll mir zustoßen, etwas wie dreihundert unvermutet auftauchende Störche, wenn nicht heute, dann morgen, irgendwann, Hauptsache bald! Damit steckte ich Kevin Brennickes säuberlich ausgearbeitete D-Day-Mappe in den Rucksack.
    Im Anorak stand ich am Fenster, zog mir die Kapuze über den Kopf und starrte auf Sisleys Bild. Es gab sechs Gemälde, die er von der Seine-Überschwemmung im Jahr 1876 gemalt hatte, alle aus verschiedenen

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