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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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Perspektiven, doch immer war darauf dasselbe blassgelbe Haus eines in der ländlichen Gegend westlich von Paris bekannten Weinhändlers zu sehen. In großen Lettern war sein Name an der Fassade zu lesen, A. S. NICOLAS , und auf dem überfluteten Vorplatz des Weinhändlerhauses standen zwei Männer in Gehröcken in einem Kahn und schienen zu staunen über die Unmenge an Wasser, die sie umgab.
    Ohne zu überlegen, hängte ich das Bild ab und ging damit in den Flur. Ich kam wieder am Bad vorbei, wo irgendwer endlos duschte, und ging auf das helle Fensterviereck zu, bis ich zur Treppe kam. Ich blickte über das Geländer und horchte. Als nichts außer dem Wasserrauschen zu hören war, nahm ich das Foto von der Wand, hängte dort den Sisley hin und machte, dass ich zurückkam ins Zimmer. Dort rückte ich die Zwillingsschwestern über der Heizung zurecht, bis das Bild gerade hing – und in der offenen Tür stehend sah ich mir an, wie der Raum sich veränderte.
    IM HOTELHOF WENDETE ICH , fuhr zum Tor und wartete, bis es offen war, dann reichte mir Maybritt je einen Schlüssel für Haus und Tor zum Seitenfenster herein und wünschte mir gutes Gelingen.
    »Wohin fährst du denn zuerst?«, fragte sie und hielt dabei Carlo am Halsband fest, damit er nicht weglief, ins Freie, womöglich irgendwelchen Wildgänsen oder Seemöwenkindern nach.
    Es regnete, Catinka zog an ihrer Hand, an der anderen zerrte der Hund, aber diese große blonde Frau war bester Stimmung.
    »Weiß noch nicht. Irgendwo werd ich schon landen. Falls etwas ist, hat Jesse meine Nummer.«
    Mein Handy, ich sah nach, steckte in meiner Anoraktasche.
    Indem ich der Kleinen zuwinkte und sie zurückwinkte, fuhr ich durchs Tor und dann den Schotterweg hinunter. Als rechts Le Mesnil auftauchte, blinkte ich und bog in den Heckenweg Richtung Bayeux. Durchs Seitenfenster roch ich den Duft vom Wind gemarterter Tamarisken, spürte den Seewind und das Nieseln auf der Wange, und ich hörte eine Silbermöwe schreien, die knapp über dem Benz die Straße kreuzte. Vielleicht war sie eine von denen, die oben im Hotel mehrere Zimmer besetzt hielten. Zwischen den Hecken kamen mir am Fahrbahnrand Schulkinder in Regenkleidung entgegen, zehn oder zwölf Mädchen und Jungen in Catinkas Alter, denen ein Lehrer vorauslief und eine Lehrerin folgte. Als ich vorbeifuhr, hörte ich ihren Singsang. »Dans mon cœur il y a pas d’amour, mais y en aura un de ces jours«, sangen Kinder und Lehrer.
    Ich hielt mich an die Schilder in Richtung Arromanches-les-Bains und fuhr auf schmalen Küstenstraßen westwärts. Utah und Omaha Beach, wo am D-Day die Erste US -Armee gelandet war, lagen hinter mir, im Westen folgten Gold, Juno und Sword Beach, doch die Landestellen der Zweiten britischen Armee und die an diesen Küstenabschnitten eingerichteten Gedenkstätten und Museen waren erst hinter Arromanches zu finden. Sobald die Straße dicht an den Strand führte, konnte man Bunker sehen, die halb zerborsten und eingesunken in den Dünen steckten und schwarze, über den Ärmelkanal blickende Schießschartenschlitze hatten. Ein Sandweg führte zwischen begrasten Dünen hindurch zur See hinunter. Dort stoppte ich im Schatten eines tiefvioletten Stechginsterbuschs. Ein Schwarm gelbgrüner Vögel hatte sich darin niedergelassen, Goldammern vielleicht. Lass sie Goldammern sein, dachte ich, als sie so lange in ihren lila Raschelzweigen sitzen blieben, bis ich ausstieg. Zwitschernd und schimpfend stoben sie davon in die Dünen. Ich ging zum Wasser hinunter, vorbei an weiteren, immer kurioser geformten Ginsterbüschen. In einem steckte ein weißes Damenrad, halb verrostet, halb überwuchert, mit einem Korb auf dem Gepäckträger, in dem noch das zusammengerollte, plastiküberzogene Kettenschloss lag.
    Niemand sonst war am Strand unterwegs, nur weit entfernt sah ich im Regen einen großen Hund herumtollen, aber keinen Menschen, zu dem er gehörte. Ein paar hundert Meter weiter ragten Betonklötze aus dem Meer, Überreste von »Mulberry A«, an denen die Wellen sich brachen. Auf den Ponton- und Senkkastenruinen des schwimmenden Hafens, den Amerikaner und Briten am Tag nach dem D-Day aufzubauen begonnen hatten, bis ein Junisturm alles zertrümmerte, hockten Vögel mit langem Hals und Stummelbeinen so regungslos, dass sie genauso gut Pumpenrohre oder Relikte eines vom Rost zernagten Geländers hätten sein können. Dunst hing über der Brandung, und nirgends war ein Wolkenloch, durch das etwas Helligkeit hätte

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