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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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stürmisch, Juni 1944, und die schmale Chaussee war übersät mit Unrat und Gerümpel. Alles Mögliche, das auf der Flucht von den Autodächern geworfen wurde, damit Leute darauf mitfahren konnten, war am Straßenrand liegen geblieben, Matratzen, Fahrräder, Kanister, ein Puppenhaus, Hühnerkäfige. Blaugraue Wehrmachtkrads steckten im Straßengraben, in einem Beiwagen ein toter Landser mit bestürztem, vom Morast halb verschluckten Gesicht. Ein gelber Möbelwagen mit dem Schriftzug AFFHOLDER stand in einem zusammengestürzten Heuschober. Munitionskästen, ein zerborstenes MG , eine geplatzte Karbidlampe, Knäuel von Tarngehängen, alle paar Meter ein Stahlhelm. Räumpanzer schoben Spanische Reiter beiseite und zerquetschten damit Wracks aufgegebener Autos. In einem Obstgarten brannten lichterloh die Apfelbäume und ein Leiterwagen, und immer wieder sah man auf Feldern und entlang der Waldränder die wie mit Schokolade übergossenen Kadaver erschossener Pferde liegen. Als wir in meinem Viertel beim Portugiesen saßen, hatte mir Kevin wortlos ein Foto über den Tisch geschoben, das in einem Dorf bei Bayeux entstanden war. Darauf hing das mit Margeritenblüten bedruckte Kleid eines kleinen Mädchens über einem Gartenzaun, und im Bildhintergrund der Garten war verwüstet, ein einziger baumloser Krater.
    »Komm schon!«, sagte ich laut zu mir selber und legte die Hände an die Dachkante des fremden Autos. Kalt waren sie und nackt, und schon waren sie auch nass.
    Hör auf, immer bloß an die Toten zu denken. Denk auch mal an die, die leben, kriegst du das gar nicht mehr hin? Wo spielt denn die Musik, im Reich der Toten?
    Hier spielte die Musik. Vom Meer her kam ein Motorrad, ein schweres, natürlich ohne Beiwagen, und ich duckte mich. Der Fahrer ließ die Maschine kurz aufheulen und raste vorbei, und ich kam wieder hoch und öffnete die Beifahrertür. Aber ich sah gleich, dass ich nicht finden würde, wonach ich suchte. Weder auf den Sitzen noch in den Fußräumen lag etwas, und auch das Handschuhfach hatte man ausgeräumt und offen gelassen, um Einbrecher wie mich abzuhalten. Es war keine CD da, keine von Fleetwood Mac und auch keine andere.
    Ich setzte mich wieder in den Mercedes. Vor mir verlief die Chaussee schnurgerade nach Bayeux. Wahrscheinlich hatte die Straße mit ihren Bäumen und Feldern rechts und links vor siebzig Jahren ganz anders ausgesehen, war gepflastert gewesen und kurvig, ehe auch der Bessin im Zuge der Flurbereinigung in Planquadrate aufgeteilt worden war.
    Wenn ich mir die Veränderungen vorstellte, die über diesen Fleck Erde hinweggegangen waren, erschien mir die Landschaft gezeichnet, und es konnte nur richtig sein, wenn die Zeichnungen kein Ende nahmen. Ich öffnete das Handschuhfach und holte alle CD s heraus, Alben, die ich lange nicht mehr gehört hatte, genauso wie solche, die ich fast täglich hörte und mit denen ich Bilder und Tage, manchmal ganze Jahre verband. Jesse hatte die Nirvana- CD im Auto vergessen, sie war die einzige, die ich behielt.
    Mit den anderen ging ich hinüber, packte den Stapel ins Handschuhfach des Lancia und stand dann da im Regen und weinte. Doch das Selbstmitleid verflog, und wieder fühlte ich mich leichter. Als ich weiterfuhr, kamen mir zwei Abschleppwagen entgegen, über der Windschutzscheibe hatten sie denselben Namenszug: RENÉ FLAUBERT & FILS .
    IN BÉNOUVILLE FOLGTE ICH DEN WEGWEISERN zum MEMORIAL PEGASUS und gelangte auf die Straße über den Caen-Kanal. Es war ein merkwürdiger Moment, auf die Brücke zu fahren und gleichzeitig die Pegasusbrücke auch am anderen Ufer zu sehen.
    Der Parkplatz der Gedenkstätte war fast leer, nur zwei Autos mit französischem Kennzeichen standen verlassen im Regen hinter dem turnhallenartigen Dokumentationszentrum. Ich parkte etwas abseits und stellte den Wagen mit der Schnauze zum Kanalufer, damit ich beide Brücken vor Augen hatte. Den Scheibenwischer ließ ich an: Links lag eine gepflegte Grünfläche, darauf stand die vor zwanzig Jahren abgetragene und im Außenbereich des Luftlandemuseums wiedererrichtete Pegasusbrücke. Rechts von mir sah ich den Neubau, über den ich gekommen war, ein Ebenbild des Originals, nur annähernd doppelt so groß. Ab und zu rollte ein Lieferwagen über die weiße Stahlbrücke. Ein Boot oder Schiff, dessentwegen die Hebekonstruktion sich in Gang setzte, um es durchzulassen, war nicht in Sicht. Still und graublau, aufgeraut nur da, wo Böen übers Wasser fegten, lag der Caen-Kanal und floss

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