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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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Europa zu einer fremden Familie gefahren, ohne dass du irgendwas von diesen Leuten weißt. Sieh dir den Mann an, bevor du einen Sack Vorurteile über ihm ausschüttest. Ab und zu winkt er über den Wagen hinweg seinem Sohn zu, dachte ich, und wenn Niels sich umdreht, winkt er zurück, in einem Spiel vom Wiedererkennen im Dunkel winken Vater und Sohn einander zu.

II

BRÜCKEN
TAGE

ALS ICH AM NÄCHSTEN MORGEN zum ersten Mal aus dem Fenster sah, regnete es. Entlang der Ärmelkanalküste fiel feiner Nieselregen, und scharfer Wind kam über die See, so stark, dass die großen Möwen, die in Scharen über dem Hotel und der Steilküste unterwegs waren, lange in der Luft stehen blieben, ehe sie abdrehten und in weiten Bögen hinunterstürzten zur Wasserlinie.
    Eine Weile stand ich nur da und sah ihnen zu. Dutzende segelten vor den Fenstern hin und her, unten am Strand und entlang der begrasten Böschungen aber mussten hunderte sein. Ich hörte sie schreien, hörte wieder das Geschrei, das mich geweckt und aus dem Bett getrieben hatte. Im Zimmer war es ziemlich kalt, aber es war ein sauberes, sehr einfaches Zimmer, nur Bett, verspiegelter Einbauschrank, Garderobe, Schreibtisch, Stuhl, das gefiel mir. Gleich beim Hereinkommen am späten Abend hatte ich die Heizung ausgestellt. Der verblasste Druck eines Ölgemäldes von Sisley hing darüber, Die Überschwemmung der Seine bei Port-Marly . Meine Augen wanderten über das Bild. Ich suchte nach Möwen darauf, aber da waren keine, und so versank ich in der Tiefe des Raums, die durch die Weite des Wassers entstand und nicht preisgab, was unter der Oberfläche lag.
    Ich fand es sogar schön, aufs Meer zu sehen und dabei zu frieren. Die klamme Kälte weckte mich auf. Es war gut, hier zu sein, und ich dachte an Jesse, während ich die Möwen dabei beobachtete, wie sie in der Luft standen, sich treiben ließen und wie sie miteinander im Flug rangelten und spielten. Wie fantastisch groß sie sind. Das müssen Seemöwen sein. Du bist an der See, dachte ich, noch ehe ich ganz bei mir war. Fast kann man England sehen. Irgendwo da drüben in dem Dunst fängt Sussex an.
    Alle bewohnten Zimmer lagen im zweiten Stock des Hotels, das drei Etagen und ein ausgebautes Dachgeschoss hatte. Es waren fünf der fünfundzwanzig Zimmer auf einem Korridor, und alle fünf blickten auf Steilküste und Meer. Ove Juhl schlief in dem an der Treppe, weil er meist schon sehr früh auf Beobachtungswanderung ging. Es gab eine Verbindungstür zum Nebenzimmer, in dem seine Frau zusammen mit der Jüngsten wohnte. Die ältere Tochter Margo war sechzehn und ein hübsches, etwas unsicheres Mädchen. Sie hatte in der Flurmitte ein Zimmer für sich. Ein paar Türen weiter lag das Zimmer von Niels und Jesse, und in Nummer 25 endlich war ich untergebracht.
    Vor dem Zubettgehen hatten uns Juhls mit Schinkenbroten, Käse, Oliven und Salat verköstigt. Maybritt, Ove und ich tranken einen nach Nuss schmeckenden Wein dazu. Margo hatte ihre Gitarre in die Küche mitgebracht, spielte aber nicht darauf, sondern versteckte sich lieber dahinter, Jesse erzählte von der Fahrt durch Belgien und die Picardie, Niels von Bunkerruinen, und Cat stemmte sich tapfer gegen die Müdigkeit, die sie auf Jesses Schoß überkam. Als sie eingeschlafen war, trug Ove Juhl sie nach oben und kam auch selber nicht zurück. Maybritt schenkte zwei Calvados ein und erklärte mir, dass ihr Mann einen anderen Rhythmus habe, wenn sie an der See seien, den der großen Zugvögel, sagte sie mit einem Lächeln und blickte zur Decke, wo aber nichts zu sehen war.
    Mit Margo hatten Jesse und ich kaum ein Wort gewechselt. Sie hatte etwas Abwartendes an sich, das mir auf Anhieb gefiel, und schien andere gern zu beobachten, ohne von ihrer Zurückhaltung viel Aufhebens zu machen. Das war also Margo, die angeblich nicht der Rede wert war und die der Junge nach Kräften verschwieg. Ein Zimmer für sich hatte das Mädchen nicht, so konnte man es nicht nennen, denn es gab noch einen weiteren Gast im L’Angleterre . Margo hatte einen Hund und bestand darauf, dass der nicht etwa in der Küche im Souterrain, wo gegessen wurde, oder oben im Fernseh- und Billardraum seine Decke liegen hatte. Carlo schlief bei ihr im Zimmer. Er war ein ziemlich großer Hund, ein noch junger, etwas täppischer und sehr neugieriger Riesenschnauzer. Jesse und Niels sagten Carlos zu ihm, Cat nannte ihn je nach Stimmungslage Knutschi oder König Mundgeruch.
    Mein Zimmer hatte nur ein kleines

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