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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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funkeln können. Ein Licht wie Schüttgut, das abgefangen wurde vom Nebel und zerstob. Von überall her kam ein Geruch nach Tang oder Algen, sogar aus den Dünen, obwohl nirgends eine Alge zu sehen war, und in der Ferne, dort, wo er eben noch herumgetollt hatte, sah ich auch den Hund nicht mehr. Auf einmal war er verschwunden, als wäre er nie da gewesen oder davongeweht worden, weil der Wind gerade nichts Besseres gefunden hatte.
    Im Wagen rauchte ich meine Morgenzigarette, wärmte mich auf und beobachtete die Goldammern, die in sicherer Entfernung auf ihrer Düne herumhopsend abzuwarten schienen, wann ich endlich diesen Stechginster zufrieden ließ, von dem sie ein Geheimnis kannten, das ich nie erfahren würde. Wie ich sie beobachtete, genau so beobachteten sie mich. Ein alberner Mann, der staunend aus seiner fahrbaren Brombeerhecke äugte. Einer, der es eine Viertelstunde lang am Meer aushielt, ehe es ihn in die dampfende Wärme seines Lebens zurücktrieb, wo er enttäuscht feststellte, dass sich in seiner Abwesenheit die Welt nicht verändert hatte. Sie blieb, wie sie war, und blieb sich treu, die Goldammern, die gar keine Goldammern waren, wussten das und machten es ihr nach, und die Sanddünen und das Meer wussten es ebenso und änderten sich ebenso wenig. Sie wussten es schon lange: Die Welt und alle, die sie liebten, hatten es satt, sich andauernd ändern zu müssen.
    Das Einzige, was sich nicht veränderte, waren die Gegenstände. Zwar bekamen sie Dellen oder Schrammen, nutzten ab, gingen kaputt und zerfielen wie das weiße Damenrad in dem Stechginsterbusch. Aber alles, was sie veränderte, kam von außen, nichts von ihnen selbst, die bloß dastanden und abzuwarten schienen. Iras schwarzer Sarg, die fünfunddreißig Jahre alte Giulietta, deren Abgase sie mit einem Schlauch ins Wageninnere geleitet hatte, verkauften meine Eltern an einen iranischen Gebrauchtwagenhöker in Rothenburgsort. Ich war froh, dass mein Vater sich durchgesetzt hatte und der Alfa nicht verschrottet worden war. Sooft ich konnte, war ich in den letzten elf Monaten an dem umzäunten Autohof gleich bei der S-Bahn-Station vorbeigefahren. Doch ob es schneite oder die Julisonne schien, der schwarze Wagen stand unverändert unter Herrn Hosainzadehs Wimpelgirlande. Keine zwei Wochen war es her, dass ich zuletzt mit dem Gedanken gespielt hatte, ihm den Tausch meines Mercedes gegen seine Giulietta vorzuschlagen.
    Schluss mit diesem Strandausflug an einem Regentag. Ich fuhr weiter, nach Arromanches, bog aber kurz nach den ersten verrammelten Eisdielen des Küstenstädtchens ab und folgte der D516 nach Süden. Die Straße wurde breiter, allmählich wurde sie Chaussee, und noch immer reihten sich verkrüppelte Platanen aneinander und folgten Äcker auf Stoppelfelder und Waldinseln auf Brachland. Ich kam durch ein Dorf. Babets Chanson schwirrte mir durch den Kopf. Je pense à nous. Wie viele Jeeps, Kettenfahrzeuge und Lastwagen mit Haubitzenanhängern sind hier vor fast siebzig Jahren durchgekommen, fragte ich mich, als ich auf einer umketteten Grünfläche einen Panzer stehen sah, ockergelb, unter einer Pappelgruppe. Es war Jesses Churchill-Panzer, kein Zweifel. Im Rückspiegel sah es immer noch aus, als würde sein Turmrohr nur auf mich zielen.
    Und tatsächlich kam ich kurz nach La Rosière auch zu dem Unfallort vom vorigen Abend. Der weiße Pick-up mit der herausgeplatzten Windschutzscheibe stand am Straßenrand, unverändert bis auf eine über die Fahrerkabine gespannte Plane. Aber auch der rote Kleinwagen war noch da, und deshalb hielt ich an.
    Weil niemand in der Nähe war, stieg ich aus. Ich lief um den Lancia herum und sah, dass die Beifahrerseite fast auf ganzer Länge zerbeult und beide Radkästen so eingedellt waren, dass sie die Räder blockierten. Über die Frontschürze des Peugeot verlief eine rote Lackspur, für einen Unfallsachverständigen ein Indiz, für mich Nebensache.
    Der Lancia war abgeschlossen. Ein Rücksitzfenster aber hatte den Zusammenprall nicht überstanden und war zerborsten und zu Bruch gegangen. Ich griff durch das Loch und entriegelte die Beifahrertür.
    Kein einziger Wagen kam vorbei. Es war ein verregneter Oktoberdienstag, und ich stand allein an einer Straße zum Meer. Jeeps, Motorräder, Pontonbrückenlaster, Panzer, Lazarettwagen, Funkwagen und Lafettentransporter waren in endloser Folge auf der Straße von Arromanches nach Bayeux ins Landesinnere gerollt, Frühsommer war es gewesen, aber kühl und

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