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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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und stellte mich in den hereintosenden Wind.
    Im Flur war es dunkel, aber nicht vollständig. Durch die angelehnte Tür von Niels’ Zimmer fiel ein Lichtstreif, und auch leise Stimmen und ab und zu ein paar Gitarrenklänge drangen heraus, ein gutes Zeichen, ein Zeichen dafür, dass die Jungen nicht sich selbst überlassen waren. Niels’ ältere Schwester hatte ein Auge auf sie.
    Wachgerüttelt vom Wind tappte ich durch den Korridor und fand wider Erwarten sofort mehrere passende Zimmer. Kein einziges war abgeschlossen. Alle waren ungeheizt, kalt, finster und rochen muffig oder schimmelig. Nirgends stand ein Bett oder lag eine Matratze, viele waren sogar völlig unmöbliert, und zumindest auf der dem Meer abgewandten Flurseite wirkte jeder Raum wie seit Jahren verwaist.
    Ich stand in der Tür von so einem Zimmer, als vom Fenster her ein Tuten kam, dann ein Knattern. Ein Nebelhorn draußen auf dem Meer, dachte ich, aber nicht sehr weit entfernt, ein Frachter in Küstennähe, dessen Lastbaumtakelung vielleicht im Wind knattert. Im Dunkeln blickte ich mich um und lauschte. Sobald die Rede auf den Ärmelkanal kam, sagte mein Vater, die Meerenge zwischen Dover und Calais sei heute zwar die meistbefahrene Wasserstraße der Welt, das ändere aber nichts daran, dass Blériot sie als Erster überflogen habe, 1909 mit seiner Onze , und immer meinte er erwähnen zu müssen, dass Louis Blériot nur selten höher als achtzig Meter über dem Wasser dahingeknattert sei. Das Horn klang dumpf, als es erneut tutete, dunkel, schwarz und verlassen hörte es sich an.
    »Hier bist du richtig«, sagte ich laut zu mir selbst. Ein dunkles Zimmer mit Blick auf das nächtliche Meer war eine gute Unterkunft für mich und meinen Schatten. Als das Signal verklungen und der Raum wieder still war, machte ich kehrt und ließ die Tür offen, um Tisch und Stuhl aus meinem Zimmer zu holen.
    Der Tisch war zu schwer. Gut verleimt und mehrfach weiß überlackiert, ließ er sich auch nicht in Teile zerlegen. Ich griff mir den Geisterstuhl und trug ihn in das fremde Zimmer. Dann ging ich hinüber zu den Jungs und klopfte.
    Die Gitarre verstummte. Ich hörte Niels’ Stimme: »Ja? Herein, herein, wenn es keine achtjährige Schwester ist.«
    Ich drückte die Tür einen Spaltbreit auf. Es war ein Doppelzimmer mit Balkontür und breitem Fenster, darunter ein Tisch wie meiner. Ein aufgeklappter Laptop mit blauem Bildschirm und eine alte Schreibtischlampe standen darauf und spendeten das einzige Licht. Es brauchte einige Zeit, bis ich jemanden entdeckte.
    Carlo erhob sich vor dem Bett und gähnte, bevor er zur Tür kam und schlaftrunken vor mir stehen blieb. Jesse sah ich nicht, und von Niels nur den Kopf. Er saß zwischen Bett und Fenster auf dem Fußboden, hielt die Gitarre in Händen und lächelte mich an, freundlich, selig. Entweder war er ziemlich betrunken oder bekifft oder beides. Ich sah nirgends eine Flasche, und auch nach Gras roch es nicht, aber es gab ja den Balkon.
    »Ich suche Jesse. Ich brauch ihn mal kurz. Weißt du, wo er ist?«
    Niels kam hoch auf die Knie, sagte laut »Nachtschicht!« und hob noch vorsichtiger die Bettdecke an als die Frau in meinem Traum, die ausgesehen hatte wie seine Mutter.
    »He, Alter, Marky Mark möchte was von dir, komm raus, du Molch«, sagte er belustigt und ohne sich Mühe zu geben, sein Lallen zu unterdrücken.
    »Deine Mutter meint, du hast ein Computerspiel, in dem die Pegasusbrücke vorkommt.« Ich zeigte auf den meerblau leuchtenden Laptop.
    »Keine Ahnung.« Niels grinste zu der obligatorischen Antwort, die ihm Zeit zum Nachdenken verschaffte. »Kann schon sein. Wie soll die denn aussehen?«
    Aus den weißen Untiefen des Bettes tauchte Jesses Mähne auf. Mittlerweile stand ich vor dem Bett und der Riesenschnauzer in der Tür, respektvoll hatten Carlo und ich Plätze getauscht.
    »Weiß, aus Eisen oder Stahl«, sagte ich zu Niels, »und an einer Uferseite ist ein riesiges halbes Zahnrad. 1944 haben die Briten sie von den Deutschen zurückerobert.«
    »Ach die«, lachte Niels. »Wo sie mit Gleitern runter sind und der eine dabei in den See stürzt – die Brücke von Bénouville. Hab ich zwanzigmal eingenommen, aber zigmal bin ich auch draufgegangen. Ist schon älter, das Spiel. Hab es nicht mit.«
    Kein Du, kein Sie. Sogar in ramponiertem Zustand mitten in der Nacht war Niels Juhl vorsichtig und wachsam. Ich fragte nach dem Namen des Spiels, und er sagte ihn mir, Angels of Mercy . Ich dankte ihm, und er gab

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