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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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dem Arm, der unter der Bettdecke hervorsah, einen Klaps.
    Jesse blinzelte mit einem Auge her, das andere wollte partout nicht aufgehen. Zerrupft, abgekämpft, mit den langen Haaren wie ein junges Mädchen nach einer Schulstunde Bodenturnen sah er aus, und es tat mir schon leid, ihn gestört und aufgescheucht zu haben. Aber ich war auch ein bisschen neidisch auf ihn und die Zweisamkeit, Dreisamkeit mitten in der Nacht in diesem Zimmer. Außerden wollte ich den Traum abschütteln, mit jemandem aus Fleisch und Blut wenigstens kurz ein paar Worte wechseln.
    Auf zwei Stühlen, einem Ohrensessel, dem Teppich überall Sachen, Klamotten, Besteck, Spielehüllen, Discs, Cola-Dosen, drei halb leer gelöffelte Müslischalen. Ich überlegte, wie ich ihn dazu bewegen sollte, dass er aufstand und mitkam. Doch zu meiner Überraschung leistete er keinerlei Widerstand, zog sich T-Shirt und Trainingshose über und folgte mir wortlos in den Flur.
    Ich nahm mir vor, ihn erst tagsüber zu fragen, ob Niels und er tranken oder sich sonst wie auf die Rucksackreise ins Land der Zugedröhnten begaben, und weil ich nicht wollte, dass er mir etwas vormachte, wollte auch ich ihm keine Märchen erzählen. In meinem Zimmer lehnte er sich an die Wand und schlotterte. Er war fast so weiß wie die Tapete, als er die Augen schloss und tief die kalte Luft einatmete.
    »Komm, fass mit an«, sagte ich. »Der fliegt raus.«
    Jesse fragte nicht weiter nach, er tat, als wäre es das Natürlichste von der Welt, morgens um vier in einem Hotel Eichentische von einem Zimmer ins andere zu tragen. Die Tür war schmal. Wir mussten den Tisch durch den Rahmen manövrieren, mit den Beinen voran. Im Korridor drehte Jesse sich um, packte das Trumm und ging voraus.
    Als der Tisch in dem dunklen Zimmer stand, dankte ich ihm, und er sagte bloß: »Ist ok.«
    »Du hättest mir sagen können, wieso du unbedingt hierher wolltest«, meinte ich, als er mit nackten, nervösen Füßen schon in der Tür stand. »Geh zurück zu ihr. Schlaft gut. Bestimmt wärmt sie dich.«
    Er lächelte und hob kurz den Arm zum Gutenachtgruß einer zitternden Hand, bevor er flüsternd nach Carlo rief und die beiden gemeinsam davontrotteten.
    ICH SCHLIEF BIS MITTAG , ohne weiter schlecht zu träumen. Wieder weckte mich das Geschrei in der Luft, doch kam mir das Krächzen und Schackern der Elstern und Krähen diesmal fast ebenso laut vor wie das Kreischen der hin und her schwirrenden Seemöwen.
    Das Handy blinkte. Drei neue Nachrichten – die erste von Saskia. Meine frühere Frau fragte, ob ich gut angekommen sei und ob eine junge Freundin von ihr für ein paar Tage in meinem Studio wohnen könne.
    In der zweiten schrieb Dr. med. dent. Birgit Fuerstner, dass meine Kafka-Zeichnungen ihre Patienten begeisterten. Sie habe übrigens eine Kollegin in England gebeten, nach diesem Mati zu forschen. Leider vergeblich.
    Die dritte stammte von Kevin Brennicke und bestand aus einer einzigen Frage: »Wie läuft es, alter Krieger?«
    Ich ging duschen, legte mich aber wieder hin, als ich von unten Maybritts und Cats Stimmen hörte. Bei gutem Wetter würden Ove und sie die restlichen Mauerrisse ausbessern, hatte die Frau mit dem Gesicht aus meinem Traum beim Abendessen gesagt und dabei mich angesehen und einen russischen Pfannkuchen zerrissen. Später würden sie zum Einkaufen nach Ouistreham oder Bayeux fahren. Ein bretonisches Lippfischragout schwebte Maybritt vor, vielleicht bekam man fangfrischen Klippenbarsch. Wollte ich mit, etwas durch die Stadt laufen, mich ein bisschen unter die Leute mischen?
    Die Vorstellung, Maybritt Juhl gegenüberzutreten und dabei so zu tun, als wäre nichts geschehen – auch wenn das der Wahrheit entsprach –, verursachte mir ein flaues Gefühl im Magen. Ich nahm mir vor, lieber zu warten, bis sie mit Catinka nach draußen zu ihrem Mann ging. Einmal hastig und dann noch mal langsam, Satz für Satz, las ich die Seiten, auf denen Keller vom ersten Erwachen Heinrich Lees im Haus seines Oheims schrieb, las jede Beschreibung von dem zahmen Marder, der dem grünen Heinrich erst auf der Brust hockte und dann im Zimmer umhertobte, sehr genau und rätselte dabei doch nur erneut, woher der Zauber kam, der die ganze Szene in ein so unvergessliches Licht tauchte.
    Im Bett liegend, das Buch auf der Brust, schloss ich die Augen, versuchte mich zu konzentrieren und tat mein Bestes, um dem kreischend über mich hinfliegenden Tag eine Struktur zu geben. Ich sah Birgit Fuerstners Patienten vor

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