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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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die anderen Brücken nichts sagen würden.
    »Wieso guckst du denn die alte Oma so an?«, fragte Catinka, die noch immer neben mir stand. Für ihr Temperament war sie ein geduldiges Mädchen, aber jetzt war ihre Geduld zu Ende. »Die verkauft doch bloß Blumen.« Sie schob ihre Hand in meine, griff sie und zog mich weiter, weg zu ihrem Bruder, der lässig auf dem Kopfsteinpflaster am Rand des Platzes stand und in ein Zwiegespräch mit seinem Handy vertieft war.
    »Was meinst du, wie alt die Frau ist?«, fragte ich Cat.
    »Die Blumenfrau? Keine Ahnung. So alt wie Oma Nive vielleicht. Bestimmt hundert.«
    Ich stellte mir das Gesicht der alten Blumenverkäuferin vor, wenn man sie fragte, ob sie sich an den Tag der alliierten Invasion erinnerte.
    »Ich war ein junges Mädchen«, würde sie vielleicht sagen, »ein sehr junges. Ich war acht Jahre alt.«
    »Mama meint, es wird später«, sagte Niels, der manchmal wirklich rührend war. »Beim Friseur dauert es, bis sie drankommt. Wir sollen uns Zeit lassen.«
    UNSER DREIKÖPFIGER ERKUNDUNGSTRUPP ließ sich Zeit bei der Suche nach Angels of Mercy . Das FNAC von Bayeux hatte zwei Etagen, aber zumindest im Erdgeschoss war nicht sehr viel los zwischen den Regalreihen mit CD s, Schallplatten, Büchern, Computerspielen und DVD s. Catinka machte mit geübtem Blick einen Verkaufstisch für Star Wars -Devotionalien ausfindig und klappte einen Porträtband über die Jedi und Sith auf. Und vor Niels und mir erstreckten sich zwei raumgleiterlange weiße Regale voller Kriegsactionspiele, die weder alphabetisch noch thematisch oder sonst wie geordnet schienen. Niels’ Kommentar lautete, dass er froh sei, keine Ballergames mehr zu spielen. Inzwischen spielte die ganze Welt die.
    Er links, ich rechts, arbeiteten wir uns Spiel für Spiel voran. Es gab Spiele, die antike Schlachten nachempfanden, den Dreißigjährigen Krieg konnte man nachspielen oder neu spielen, es gab dutzende Spiele über die Seeschlachten der Engländer gegen die spanische Armada, über napoleonische Feldzüge, den Amerikanischen Bürgerkrieg, den Ersten Weltkrieg, den Zweiten Weltkrieg, Korea, Vietnam, den Sechstagekrieg, den Falklandkrieg, Afghanistan, Kuwait, Jugoslawien, Irak. Dann erst folgten doppelt so viele Spiele über erfundene Kriege, Kriege der Zukunft und Kriege von früher, Kriege, die man sich vorstellen konnte, die aber nicht oder noch nicht stattgefunden hatten.
    Wir standen Rücken an Rücken und lasen meistens leise, manchmal laut, wie die Spiele hießen. Einmal fragte ein Angestellter im Vorbeigehen, ob wir zurechtkämen. Niels’ Französisch war wie Jesses um einiges besser als meins. Er schilderte dem jungen Mann mit den langen Wimpern unser Problem, und der zuckte die Achseln: »Non, j’ai pas, ah oui«, sagte er, wechselte ins Englische und zeigte den Gang hinunter.
    »Wir sind falsch hier.« Niels rief nach Cat. Angels of Mercy stand bei den Sonderangeboten. Er rief noch mal, aber Catinka kam nicht. »Ich gehe sie holen«, sagte er und verschwand um die Ecke. Ich ließ den Rucksack zu Boden gleiten, und nachdem ich mich versichert hatte, dass mich keine Kamera filmte, schob ich ihn mit der Schuhspitze tief unter das Regal.
    In der Nähe der Kasse wurde ich fündig. In einem Schütttisch für Sonderposten, runtergesetzt auf einen läppischen Preis, lag das Spiel zwanzig- oder dreißigmal, und sogar die Pegasusbrücke war auf der Hülle abgebildet. Ich nahm eins, las, dass das Spiel mehrsprachig war, und stellte mich ans Ende der Schlange. Und während ich wartete, dass ich an die Reihe kam, sah ich der jungen Kassiererin zu, die kurzes rotes Haar hatte und ein schmales hübsches Gesicht mit noch mehr Sommersprossen als Maybritt Juhl.
    Niels und Catinka kamen und stellten sich zu mir, Cat offensichtlich unglücklich, weil ihr Bruder sie beim Lesen gestört hatte. Auf einem Sofa habe sie gelegen, völlig weggetreten, sagte Niels, und Catinka protestierte nicht mal, sie blickte bloß abwesend in eine Ferne, die es nicht gab und zugleich doch geben musste, da sie gerade dort gewesen war, in einer erfundenen, von ihr durchmessenen Zeit.
    Ich wartete, bis sie mich ansah, dann zog ich eine Grimasse und sagte, sie solle laufen und das Buch holen.
    »Ist es ein französisches?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es hat drei Sprachen. Und lauter Bilder, die ich nicht kenne!«
    Kaum war sie weg, erzählte ihr Bruder vom Deutschunterricht in der Schule.
    »Die Front!«, sagte Niels mit weit aufgerissenen

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