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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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Augen.
    Eigentlich hatte er Kriegsspiele immer nur gespielt, um herauszufinden, was das war: die Front. Aber eine Vorstellung davon hatte er erst, seit Jesse und er in der Schule eine Erzählung von Heinrich Böll lasen, Das Vermächtnis . Kannte ich die? Ich schüttelte den Kopf, sagte nichts und fragte mich, ob er im Ernst glaubte, ich würde nicht merken, dass er mir etwas vormachte.
    »Ein Beispiel«, sagte Niels so beflissen, als wäre ich sein Profilklassenlehrer und als hielte er ein Referat. »Ich dachte immer, die Front ist eine gerade Linie, die ein General mit einem Lineal auf eine Landkarte gezogen hat. In Wirklichkeit aber – so steht es in dem Buch von Böll – ist die Front ein verschlungenes Gebilde. Wie eine unregelmäßige Schlange verläuft sie durch ein Gelände. Sie passt sich an, oder besser gesagt wird sie dazu gezwungen.«
    Er meinte das wirklich so. In Wirklichkeit ist die Front ein verschlungenes Gebilde. Dass er in Frankreich war, umgeben von Franzosen, die mit ihm in einer Schlange an der Kasse standen, schien er nicht zu bemerken. Oder ich hatte noch nicht bemerkt, dass es den Franzosen egal war, ob wir Deutsche waren, solange wir sie nicht überfielen, sondern wie sie bei FNAC einkauften. Hilfe suchend, oder wenigstens Ablenkung, beobachtete ich die Kassiererin. Wie es wohl war, ein Gesicht voller kleiner roter Flecke zu haben? Sie saß vor einer weißen Sperrholzwand, an die Fotos und Ansichtskarten geklebt waren, Meer und Berge sah man darauf, Freunde und Freundinnen am Strand, beim Wandern, Drachenfliegen oder Skifahren. Ägypten, Vogesen. Korsika, Arosa.
    Vor dem Bauch das Buch und im Gesicht ein ernstes Lächeln, schlängelte Cat sich zu uns durch. Möglichst unbeteiligt gab sie mir das Buch, es war schwer, glänzte silbern und kostete noch weniger als das Computerspiel.
    »Ich war Zivi auf einer Krebsstation«, sagte ich mehr vor mich hin als zu Niels, obwohl der Satz ihm galt und ihn treffen sollte. Wäre der Junge nicht dagewesen, hätte ich den Satz nicht gesagt, nicht mal gedacht hätte ich an meine Krankenhauszeit, die über fünfundzwanzig Jahre her war. »Kann ich dir ja mal erzählen.«
    »Klar, gern. Hab ich auch immer gedacht: wenn Front, dann als Sani.« Das Chamäleon Niels. Eben noch olivgrün, jetzt strahlend weiß. Vielleicht mochte meine Mutter das an dem Jungen nicht. Man wurde aus Niels nicht schlau. Er duckte sich weg, und alles an ihm wirkte aufgesetzt und gespielt, außer seine Beharrlichkeit.
    Die Kassiererin nahm Buch und Spiel, scannte die Artikelnummern ein und nannte die Summe, nicht mal zwanzig Euro. Ich gab ihr die EC -Karte. Dabei fiel mein Blick auf die Bilderwand in ihrem Rücken, auf ein Foto, das zwei Frauen am Strand zeigte, Wange an Wange, sonnengebräunt und lachend, hinter sich das dunkelblaue Meer. Eine der beiden Frauen sah aus wie Ira.
    War man in der Lage, einen entscheidenden Augenblick zu erkennen? Es war ein Moment wie jeder andere. Ich tippte meine PIN -Nummer in das Kartenlesegerät. Ich hob die Augen, und sofort sah ich wieder das Foto und dass ich mich nicht getäuscht hatte. Die andere Frau auf dem Bild kannte ich nicht. Die Kassiererin war es nicht, sie war bestimmt fünfzehn Jahre jünger. Aber so, wie neben dieser Fremden Ira wirkte, so ausgelassen, obwohl sie kaum jünger schien als zum Zeitpunkt ihres Todes, kannte ich auch meine Schwester nicht.
    »Merci.«
    »Merci à vous, Monsieur.«
    Ich nahm die Plastiktüte, und Catinka und ihr Bruder folgten mir zum Ausgang, wo ein kleines Café war, mit einer cremefarbenen Sesselecke.
    »Wartet hier. Ich muss noch mal rein, hab den Rucksack drin vergessen.« Ich gab Niels die Tüte. »Du passt bitte auf deine Schwester auf. Bleibt einfach sitzen. Bin in zwei Minuten zurück.«
    Damit eilte ich zurück in den Laden, zurück durch die Regalreihen bis in die Spieleabteilung. Ich spürte, wie mein Herz raste. Es schlug mir bis in den Hals hinauf, als ich den Rucksack unter dem Regal hervorzerrte und weiterhastete. Bei den CD s blieb ich stehen, sah nach unter F , suchte unter FLEETWOOD MAC und fand in dem schmalen Stapel ein Exemplar von Tusk . Wieder stand ich in der Schlange an der Kasse. Ich sah Niels und Cat zusammengesunken in zwei Sesseln fläzen, sie ärgerten einander, bis beide lachen mussten. Und da war das Foto wieder, Schritt für Schritt verblasste mein Zweifel, dass ich mich geirrt haben könnte und einem Trugbild oder Wunschbild aufsaß.
    Keine Sekunde lang hielt ich es

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