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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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ruhig waren, immer schienen die Möwen zu staunen, und genauso kam mir mein Grübeln vor, wenn ich mich fragte, woher dieser abgrundtiefe Widerwille vor dem Zeichnen mit einem Mal kam.
    Eigentlich dachte ich achtundvierzig Stunden lang: Warum sah sie auf dem Bild so glücklich aus? Da waren der Strand, das Meer, die andere Frau. Beide hatten große modische Sonnenbrillen, beide hatten sie in die Stirn geschoben. Ira war braun vor lauter Sonne, aber hatte einen blassen Nasenrücken wie früher im Garten und damals in Rio. Ihr Lächeln war beinahe Lachen. Man sah auf dem Foto ihr altes Lachen. Wieso wirkt sie so sorglos, fragte ich mich, wieso hat sie mich alleingelassen, wenn sie kurz zuvor noch so fröhlich war?
    »Du kennst doch bestimmt den Eiffelturm«, sagte ich zu Cat auf dem Pfeiler. »Derselbe Mann, der den Turm gebaut hat, der hat die Eisenbahnbrücke gebaut, die hier mal stand und bis da rüber ging, und ein bisschen sah sie sogar aus wie der Eiffelturm, nur als würde er nicht aufrecht stehen, sondern liegen.«
    »Tja, nur dass es den Eiffelturm wirklich gibt, den hab ich ja gesehen«, sagte sie. »Er sieht aus wie ein riesiges leuchtendes A. Davon habe ich zwei in meinem Vornamen, du nur eins.«
    Ich sah über die Kante zum Grund der Talsenke. Am Fuß des Pfeilers stand ein verlassener Bauwagen, ich blickte von oben genau auf sein Wellblechdach. »Dafür hab ich in meinem Nachnamen zwei E’s«, sagte ich, »und du hast leider gar keins.«
    Auf der Fahrt nach Caen erzählte Niels, wie komisch er es gefunden hatte, durch Bayeux zu laufen, vorbei an Häusern und sogar Bäumen, die er alle aus Angels of Mercy kannte. Über den Marktplatz war er in dem Spiel immer wieder gelaufen, bei Nacht und am Tag. Manchmal standen lauter britische Sherman-Panzer auf dem Kopfsteinpflaster, manchmal flog ein Erkundungsluftschiff über die Stadt, aber meistens war es ganz leer und still dort, und er und seine Kameraden mussten schwer bepackt mit MP und Rucksack in jedes Haus gehen und nachsehen, ob sich Deutsche darin versteckt hielten.
    Maybritt sagte dazu nichts, sie zog nur ab und zu die Augenbrauen hoch, und ich hatte keine Lust, mich mit ihrem Sohn anzulegen, bloß um am Ende als Moralonkel dazustehen. Durch den Wald von Cerisy fuhren wir Richtung Nordosten, bogen aber kurz vor Bayeux ab auf die N13 nach Caen und kamen an denselben Ausfahrten vorbei wie Jesse und ich ein paar Tage zuvor mit dem Mercedes. Ich erzählte, wie Jesse die Namen Bretteville-l’Orgueilleuse und Sainte-Croix-Grand-Tonne aneinandergehängt hatte, und Cat lachte sich schief.
    An der Ruine in Souleuvre hatte sie eine große Weinbergschnecke entdeckt und mitgenommen, um sie im Hotel zu zeichnen.
    »Sie ist schön, und sie ist lieb, und jetzt hat sie auch einen Namen.« Catinka legte sich die Schnecke auf die flache Hand, wo sie ab und zu tatsächlich den Kopf aus ihrem Haus hervorstreckte. »Ich werde sie L’Orgueilleuse nennen.«
    Am Strand unterhalb Le Mesnil rannte Margo weit voraus und versuchte immer wieder, Carlo ins Wasser zu locken. Jesse machte keine Anstalten, ihr zu nachzurennen, und so nutzte ich die Gelegenheit und sagte ihm, dass ich gern, nur kurz, über seine Mama mit ihm sprechen würde.
    »Frag«, sagte er wenig erstaunt. »Was willst du wissen?«
    Gegen den leichten Wind gingen wir an der Steilküste unterhalb der Häuser des Ortes entlang. Ich fragte Jesse, ob er sich an einen Urlaub erinnern könne, den Ira noch kurz vor ihrem Tod vielleicht gemacht hatte.
    Nein, er wisse von keinem, aber er sei ja auch nicht immer da gewesen, sondern oft bei Lewandowskis.
    »Ich meine, manchmal war ich zwei Wochen bei Ingo und Karen und habe nichts von ihr gehört. Keine Ahnung, ob sie mal weg war. Aber daran, dass sie entspannt war oder erholt wirkte, kann ich mich nicht erinnern. Wieso?«
    »Nur so. Ich hab mich gefragt, wie es ihr hier gefallen hätte.«
    »Hier?« Er wurde nachdenklich, und kurz überlegte ich, ihm die Wahrheit zu sagen und von dem Foto zu erzählen.
    Stattdessen fragte ich, ob er mit seiner Großmutter gesprochen habe, und er nickte, sagte aber nichts weiter.
    Einmal war er von Lewandowskis zurückgekommen, und lauter Koffer und Taschen hatten im Flur gestanden.
    Jesse sagte: »Ich dachte, Mama ist verreist gewesen, und wunderte mich bloß. Aber als sie dann die Koffer aufmachte, waren da lauter ordentlich gefaltete saubere Anziehsachen drin.«
    »Und hat sie dir erklärt, was sie mit dem Koffer vorhatte?«
    Er nickte.

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