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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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ausstreckte und mich zu sich zog, damit wir uns umarmten.
    Unten in der Lobby klingelte das greise Telefon hinter dem Rezeptionstresen. Es bimmelte, bimmelte noch mal und noch mal, aber wie immer in der vergangenen Woche nahm auch jetzt so lange keiner ab, bis das Geklingel verstummte und es in den Fluren und Zimmern wieder still war.
    Zuletzt strich ich Cat über die Stirn. Auf Maybritts Arm hielt sie das mir zugewandte Auge geschlossen, dafür aber sagte sie etwas zum Abschied, bloß ein einziges dänisches Wort, und ich wiederholte dieses traurige Farvel.
    Die Jungs hatten beschlossen, die Nacht durchzumachen und erst auf der Fahrt zu schlafen. Ihr Zimmer sah aus wie immer, packen würden sie morgens. Niels lag auf dem zerwühlten Bett vor dem Laptop und sah sich Musikclips an, zum Gruß hob er die Hand und fragte, in welches Zimmer ich ziehen würde, sobald sie weg waren.
    »Oder willst du jetzt im Carport übernachten?«
    Da grinste er.
    Einer der glücklichsten Menschen, die ich kannte, fiel mir mit einem Mal ein, als ich den schlaksigen Jungen so daliegen sah. Mein Nachbar im Hamburger Portugiesenviertel tat rund um die Uhr nichts, als in einem Sessel, den er alle zwei Jahre im Internet neu bestellte, vorm Rechner zu sitzen. Er unterhielt sich im Netz, ließ sich übers Netz sein Essen kommen, liebte treu und anhänglich ein paar Frauen auf Pornoseiten und verdiente das Geld, das er für Miete, Nahrung und seine mütterliche Reinmachefrau benötigte, mit dem An- und Verkauf von gebrauchten PC -Rollenspielen. Er war nicht gesund, und er wusste, dass er nicht immer Troglodyt bleiben konnte. Doch solange er es konnte, war er liebend gern ein Höhlenmensch, einer, der seine Marihuanalieferantin »meine Köchin« nannte, weil sie ihn getreulich versorgte und zu ihm ins Haus kam. Bestimmt, es fehlte ihm an Bewegung. Kreuzbein, Knie und Zähne machten ihm zu schaffen. Doch ich kannte niemanden, der so sehr in sich ruhte und dabei so freundlich war wie mein Nachbar, mein früherer Etagennachbar in der Rambachstraße am Hamburger Hafen.
    »Gar keine schlechte Idee, kleine Ratte«, sagte ich zu dem grinsenden Niels und bat dann Jesse, er möge mal raus in den Flur kommen. Er stand draußen auf dem Balkon, vertieft in sein Smartphone, mit im Nachtwind wehender Mähne.
    Es war nicht viel, was ich ihm zu sagen hatte. Jesse ins Gewissen reden wollte ich nicht, ebenso wenig mich entschuldigen. Außer ihm hatte jeder wissen wollen, warum ich den Mercedes verkauft hatte, warum ich nicht mit zurückkam und was ich vorhatte. Jesse schien das alles nicht zu kümmern, ein Desinteresse, das ich verletzend fand und auf den Einfluss seiner Großmutter zurückführte, mit der er offenbar weiter in Kontakt stand. Niels’ Frage, ob ich in den Carport umzuziehen gedenke, war kaum Zufall gewesen.
    Wir tauschten ein paar Floskeln aus. Ich wünschte ihm eine gute Heimfahrt, bat ihn, auf sich aufzupassen, und er antwortete höflich, bedankte sich müde und wollte so schnell wie möglich zurück zu seinem Kumpel oder seinem Handy.
    So trat er in dem schummrigen Flur von einem Bein aufs andere, wich meinem Blick halb aus und hielt ihm halb stand. In den vergangenen acht Tagen waren wir uns nähergekommen, vor allem auf der Herfahrt und wenn wir abends alle in der Küche zusammensaßen und rumblödelten. Doch durfte ich nicht gleich glauben, diese Nähe wäre von Dauer. Je vertrauter mir der Junge wurde, umso ferner fühlte ich mich ihm. Ging es ihm genauso? Ich konnte seine Verschlossenheit nicht deuten. Doch wenn ich vor ihm stand, dann konnte ich von seinem Gesicht ablesen, wie verschlossen ich selber war.
    Ich fragte, was Niels und er die ganze Nacht machen wollten.
    »Nichts«, lautete die Antwort, so als gäbe es wirklich nichts, was zwei junge Kerle eine Nacht lang auf dieser Welt anfangen konnten. »Was sollen wir schon machen.«
    Schlafen? Lesen? Reden? Musik hören und dabei packen?
    »Wir spielen ein Spiel zu Ende. Vielleicht kommt Margi rüber und macht Musik. Und vielleicht gehn wir noch raus, auf die Steilküste oder zum Wasser runter. Ich meine: Wir müssen uns ja wohl irgendwie von allem hier verabschieden.«
    Ich nutzte die Gelegenheit und fragte ihn, ob sie kifften.
    Empört schüttelte er den Kopf.
    Und sie koksten auch nicht und tranken auch nicht. Sie chillten, sie gammelten, sie spielten, nichts weiter, es tat ihm leid! Er wünschte mir eine gute Zeit und wollte gehen.
    Das Beste war noch, betrunken am Strand zu schlafen.

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