Nie mehr ohne deine Küsse
obwohl ihre Welt total zusammengebrochen war. Natürlich hatte sie bemerkt, dass man über sie redete. Aber die Leute hatten schon immer hinter ihrem Rücken über sie geredet. Das war sie gewohnt. Und wenigstens wurde sie nicht gemobbt.
Sie hatte große Angst gehabt, dass man sie bloßstellen würde. Dass ihre Vergangenheit von allen zerpflückt würde. Doch erstaunlicherweise schienen die Marshalls dichtzuhalten. Die Leute wussten nur, dass zwischen ihr und Ethan etwas gewesen war und dass es jetzt vorbei war.
Mitleid war allerdings auch nicht viel besser als Mobbing.
Vor Liebeskummer schaffte sie es morgens kaum, aus dem Bett zu steigen. Das war aber auch schon alles, was sich verändert hatte. Das Gespräch mit dem Senator am Tag, nachdem Ethan sie zur Rede gestellt hatte, war zwar etwas unangenehm gewesen, aber er hatte viel verständnisvoller reagiert als sein Enkel. Sie hatte ihren Job behalten. Und alles ging wieder seinen gewohnten Gang.
Alles, bis auf ihre Treffen mit Ethan.
Wobei das nicht ganz stimmte, überlegte sie, während sie Goose aus dem Fluss trinken ließ und die Berge am Horizont fixierte. Die Zufriedenheit, die sie hier verspürt hatte, bevor sie Ethan getroffen hatte, fehlte jetzt. Man sah es ihr zwar nicht an, aber es schmerzte sie, dieses Gefühl nicht mehr zu spüren.
Sie lenkte Goose in Richtung Stall und ließ ihn in einen leichten Trab fallen. Als sie sich dem Stall näherten, sah sie Ray winken. Während sie abstieg, hielt er Goose am Zügel fest.
„Du hättest es uns wirklich sagen sollen, Lily“, schalt er sie lächelnd.
Ihr Herz schien stehen zu bleiben.
„Was meinst du, Ray?“
Er schlang einen Arm um ihre Schultern und drückte sie.
„Alles Gute zum Geburtstag!“
Verwirrt schüttelte Lily den Kopf.
„Aber ich habe doch gar nicht …“
„Ich hab eine Überraschung für dich.“ Sein Lächeln wurde immer breiter. „Pass auf, ich kümmere mich um Goose, und du gehst direkt im Stall nachschauen.“
Kaum hatte sie den Stall betreten, setzten die Stallarbeiter auch schon zu einem „Happy Birthday“-Gesang an. Rays tiefe Stimme fiel ein, als er hinter ihr die Stalltür schloss.
Wie kamen sie nur darauf, dass heute ihr Geburtstag war? Und wie sollte sie ihnen sagen, dass sie sich geirrt hatten?
„Überraschung, Lily!“, rief nun jemand aus der Menge und kam auf sie zu.
Das Blut rauschte ihr in den Ohren. Ihr wurde schwindelig. Das kann nicht sein. Sie schloss die Augen, sicher, dass es lediglich eine Halluzination war. Doch als sie sie wieder öffnete, stand er immer noch vor ihr.
Ihr Vater.
Hier. Auf Hill Chase. Mit bunten Ballons in der Hand.
Wie hatte er sie gefunden? Und wie hatte er es geschafft, Zutritt zum Gelände zu bekommen? Sie hatte geglaubt, hier absolut sicher zu sein. Die Fragen und Gedanken wirbelten wild durcheinander, bis sie das Gefühl hatte, ihr würde gleich der Kopf platzen.
Plötzlich stand Ray neben ihr. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er.
„Mir geht’s gut“, log sie. „Ich bin nur wahnsinnig überrascht, Dad zu sehen.“ Das stimmte tatsächlich. Sie lächelte, um Ray zu beruhigen.
Langsam kam ihr Vater auf sie zu, wobei sein breites Grinsen wohl darauf hindeuten sollte, dass er ganz der stolze Vater war.
„Happy Birthday, mein kleines Mädchen“, sagte er laut und umarmte sie, bis sie vor lauter Abscheu das Gefühl hatte, ihr Frühstück würde gleich wieder hochkommen. „Lächle, verdammt noch mal“, zischte er ihr unmerklich zu.
Lily versuchte es, doch es gelang ihr nicht so recht.
„Na los, macht euch einen schönen Nachmittag“, rief Ray. „Wir kommen hier schon ein paar Stündchen allein zurecht.“
Während er sie aus dem Stall führte, legte ihr Vater seinen Arm um sie. Seine Finger bohrten sich schmerzhaft in ihren Oberarm, doch sie ließ sich nichts anmerken. Jetzt war eh alles egal. Er hatte sie gefunden. Morgen würde sie sicher blaue Flecken an den Armen haben, aber das kannte sie schon von früher.
Wenigstens konnte sie sicher sein, dass er vor den Leuten wie ein liebevoller Vater erscheinen wollte. Er würde sie also zumindest nicht anschreien und seine Fäuste unter Kontrolle halten.
Das konnte doch alles nicht wahr sein. Er musste hier sofort verschwinden. Jetzt auf der Stelle.
„Was machst du hier?“, presste sie hervor.
Seine Antwort war unmissverständlich.
„Du schuldest mir noch was, mein Mädchen. Und ich bin hier, um es mir zu holen.“
9. KAPITEL
Ethan wusste nicht, ob
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