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Nie Wirst Du Entkommen

Nie Wirst Du Entkommen

Titel: Nie Wirst Du Entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Rose
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»Du steckst in Schwierigkeiten. Deine Mutter wollte herkommen. Also haben wir es getan.«
    Ihre Mutter sah ihn traurig über die Schulter hinweg an. »Du hast es mir versprochen.«
    Er schloss die Augen. »Also gut. Ich wollte kommen. Ich wollte mich vergewissern, dass mit dir alles in Ordnung ist.« Er schlug die Augen auf, und sie war verblüfft, als sie Tränen darin entdeckte. Niemals in ihrem ganzen Leben hatte sie ihren Vater weinen sehen. Niemals. »Du bist letztes Jahr im Krankenhaus gewesen, und wir konnten nicht kommen, weil wir nichts wussten. Du hast uns nichts gesagt. Jetzt steckst du wieder in Schwierigkeiten, und wir müssen es erst aus den Nachrichten erfahren. Weißt du, wie weh das tut, Tess?«
    Ihre Mutter tätschelte seine Hand. »In den Nachrichten hieß es, du hättest Geheimnisse deiner Patienten verraten«, sagte sie. »Man wirft dir unethisches Verhalten vor, und angeblich hat man dir deine Lizenz entzogen.«
    »Das sind doch dreckige Lügner«, stieß ihr Vater hervor. Seine Stimme zitterte vor unterdrücktem Zorn. Er hob das Kinn. »So etwas würdest du niemals tun.«
    Wieder bekam ihr verhärtetes Herz einen Riss. »Das Lizenzamt hat mir tatsächlich meine Lizenz entzogen, Dad. Woher willst du wissen, dass es nicht zu Recht geschehen ist?«
    Er durchbohrte sie mit seinen dunklen Augen. »Weil ich dich kenne. Und ich weiß vor allem, dass du nicht lügst. So habe ich dich nicht erzogen.«
    »Einfach so?« Ihre Stimme war bitter, sarkastisch. »Du glaubst mir einfach so?«
    »Wir haben immer an dich geglaubt, Tess«, sagte ihre Mutter sanft. »Wir lieben dich.«
    Ihr Vater seufzte. »Und ich weiß, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie scheinen.«
    Tess schloss die Augen. Sie dachte nicht daran, sich auf die Gegenseite ziehen zu lassen. »Ich weiß doch, was ich gesehen habe, Dad.«
    »Und das sah übel aus. Aber ich habe nichts getan, Tess. Diese Frau behauptete, das Zimmermädchen zu sein, und bevor ich mich versah, war sie im Zimmer und …«
    Tess straffte den Rücken, denn sie hatte das Bild noch allzu deutlich in ihrer Erinnerung. »Ich weiß es. Ich war dabei.«
    Er zog einen Stuhl unter dem kleinen Tisch hervor. »Ich glaube, ich muss mich jetzt doch setzen. Du bist immer ein schwieriges Kind gewesen, Tessa. Du hast immer Fragen gestellt, auf die ich keine Antwort wusste. Ich wusste auch schon immer, dass du Anwältin oder Ärztin werden würdest … irgendetwas Großes. Wichtiges.« Er sog angestrengt die Luft ein. »Alles in Ordnung. Manchmal ist das Atmen nur etwas mühsam.« Er fasste sich, sah ihr direkt in die Augen. »Aber du hast mich nie gefragt, was wirklich geschehen ist, Tessa. Ich habe immer darauf gehofft, aber du hast es nie getan. Jahrelang habe ich gewartet.« Ihre Mutter nahm seine Hand und hielt sie fest.
    »Ich habe es doch
gesehen
«, presste Tess hervor. Plötzlich war sie unsicher und hasste sich für diese Schwäche, genau wie sie ihre Mutter dafür gehasst hatte.
    »Du hast nur einen Teil gesehen«, sagte er. »Ich habe mich stets gewundert, wie du nach all den Jahren deines Lebens ausgerechnet so etwas von mir denken wolltest. Wie ein einziger Moment deinen ganzen Glauben umstoßen konnte.« Er sah weg. »Und ich wusste nicht, dass mich etwas derart verletzen könnte.«
    Sie betrachtete die ineinanderliegenden Hände ihrer Eltern. Und beneidete sie um ihre Solidarität, obwohl es sie gleichzeitig wütend machte. »Ich auch nicht. Ich habe erwartet, dass du einen Fehler eingestehen würdest, wie du es von uns immer verlangt hast. Aber das hast du niemals getan.« Seine Lippen pressten sich aufeinander, aber er schwieg. »Und du.« Sie sah ihre Mutter an. »Du hast gesagt, ihr hättet an mich geglaubt. Aber das stimmt nicht. Du hast mich geohrfeigt und bist zu ihm gekrochen.«
    Ihr Vater wandte den Kopf und starrte seine Frau schockiert an. »Du hast sie geschlagen?«
    »Ich war wütend.« Sie seufzte. »Es war falsch, Tess, das weiß ich. Ich war so wütend und so gekränkt, und ich hatte Angst. Aber ich bin niemals zu irgendwem ›gekrochen‹, weder zu deinem Vater noch zu sonst jemandem. Ich habe ihn gefragt, was geschehen ist. Und ich habe ihm geglaubt.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem humorlosen Lächeln. »Du hältst mich also für eine dumme Kuh.«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    Aber sie hatte es gedacht. Dachte es immer noch.
    »Hältst du mich für eine dumme Kuh, weil ich jetzt an dich glaube?«
    »Nein.« Tess schüttelte den Kopf.

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