Nie Wirst Du Entkommen
Julia, wahrscheinlich mit Schalldämpfer. Warum jetzt eine Fünfundvierziger nehmen und jemand töten, wenn so viele Leute dabei sind?«
»Er wollte, dass sie schnell gefunden wird«, sagte Aidan.
»Aber er hat sich die Zeit genommen, einen Zettel anzuheften, obwohl er damit rechnen musste, dass ihn jemand sieht.« Spinnelli zog die Stirn in Falten. »Das klingt nicht gerade nach einem vorsichtigen Killer.«
Tess richtete sich zu voller Größe auf. »Können wir jetzt vielleicht anfangen? Ich bin so weit.«
Aidan drückte sie kurz an sich, als Johnson das Laken wegzog und den Oberkörper einer Frau entblößte, und einen Moment lang sah Tess die Gestalt nur an.
»Ich habe sie noch nie …« Sie hielt inne. »Moment. Wo ist sie gefunden worden?«
»Auf dem UI -Campus. Sie ist eine …«
»Studentin«, endete Tess tonlos, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Johnson zog ihr schnell einen Stuhl heran, und Aidan drückte sie sanft darauf nieder. Tess befeuchtete die Lippen. »Ich habe ›Hallo‹ zu ihr gesagt. Mehr nicht.«
Aidan hockte sich neben sie und sah ihr ins Gesicht. »Wann?«
»Gestern. Ich brauchte neue Stiefel. Weil alle meine Sachen noch bei euch waren.«
Spinnelli drückte sanft ihre Schulter. »Sie haben sie im Schuhgeschäft getroffen?«
Sie nickte, der Körper erstarrt.
»Woher wissen Sie, dass sie Studentin war?«, fragte Murphy.
»Sie … sie flirtete mit Vito. Die meisten Mädchen flirten mit Vito. Ich habe Stiefel ausgesucht und wollte zur Kasse, und da war sie hinter mir. Ich habe ›Hallo‹ gesagt. Draußen habe ich Vito aufgezogen, und er meinte, sie sei bloß ein Collegemädchen. Und ich habe nur ›Hallo‹ gesagt.« Ihr Atem ging flach. »Mehr nicht.« Ihre Hand legte sich über den Mund, und sie starrte ins Leere. »Und jetzt ist sie tot. O Gott. Wie soll ich Menschen warnen, die ich nicht einmal kenne?«
Aidan kannte die Lösung. »Es wird Zeit, dass wir in die Offensive gehen. Morgen rufe ich Lynne Pope von
Chicago on the Town
an. Wir schulden ihr einen Gefallen, und ich gebe ihr ein Exklusiv-Interview.«
»Hey, jetzt wirst du doch noch ein Star, Ace«, sagte Murphy verschmitzt.
Aidan streichelte Tess’ Knie. »Bist du einverstanden? Dann weiß es jeder.«
Sie sah so verloren aus, dass ihm beinahe das Herz brach. »Niemand wird mehr mit mir reden wollen«, murmelte sie. »Sie werden mir aus dem Weg gehen, sobald ich auf der Straße bin.« Dann hob sie den Blick zu Sylvia Arness’ Leiche. »Aber sie bleiben am Leben. Hast du Popes Karte?«
Aidan zog sie aus seiner Brieftasche. »Tess, ich rede mit ihr.«
»Nein, ich tue es. Ich will diesem Arschloch ein paar ganz konkrete Dinge sagen. Ich hole mir mein Leben zurück. Er glaubt, er könnte mich in ein Schlupfloch scheuchen, in dem ich mich wie ein Baby zusammenrolle und … heule. Aber er irrt sich. Johnson, kann ich Ihr Telefon benutzen?«
»Nein, das lasse ich nicht zu«, sagte Aidan und versperrte ihr den Weg. »Du wirst ihn so wütend machen, dass er dich angreift.«
Sie sah trotzig zu ihm auf. »Ich habe weit mehr Schutz, als sie gehabt hat.« Sie deutete mit dem Daumen auf Arness. »Ich habe euch. Sie hatte niemanden. Und der Nächste, den es trifft, wird auch niemanden haben. Und verdammt noch mal, wehe, es gibt einen Nächsten. Soll er es doch bei mir versuchen. Wir sind bereit!«
Freitag, 17. März, 2.35 Uhr
Tess setzte sich auf die Kante von Aidans Bett. »Es war nett von Lynne, dass sie sich noch so spät mit uns getroffen hat.«
Sie und ihr Kameramann hatten die ganze Geschichte aufgenommen, während Aidan außerhalb des Bilds gewartet hatte.
Der Blick, den er ihr über die Schulter zuwarf, war schief. »Sie wird einen hübschen Bonus bekommen, wenn das morgen durch den Äther geht.« Er zog die Krawatte ab und den Pullover aus. »Ich denke, davon profitieren alle.«
Unruhig kämpfte sie gegen das Bedürfnis an, aufzustehen und hin und her zu gehen, während er sein Hemd aufknöpfte. »Sie sagte, der Bericht würde in
Good Morning, Chicago
und
Chicago on the Town
gesendet werden«, sagte sie. Sie wusste, dass sie Belanglosigkeiten von sich gab, war aber nicht in der Lage, den Mund zu halten. Er streifte sein Hemd ab, und ihr Mund wurde trocken. Angezogen war der Mann unglaublich attraktiv. Aber ausgezogen …
»Ja, ich erinnere mich.« Er betrachtete sie eingehend. »Tess, bist du nervös?«
Sie schloss die Augen, nun außerdem verlegen. »Ja.«
Er setzte sich neben sie und zog sie an
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