Nie Wirst Du Entkommen
eines Verbrechens erforderlich ist oder wenn Gefahr für einen Patienten besteht, der keine Einwilligung geben kann. In beiden Fällen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Anforderungen erfüllt waren. Im Übrigen habe ich Ihnen nicht viel mehr gesagt, als Sie ohnehin herausgefunden hätten, wenn Sie in Ihrem Archiv gesucht hätten.«
»Sie haben mir zumindest verraten, dass Cynthia Adams sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen hat.«
Etwas blitzte in ihren Augen auf. »Das war, als ich noch glaubte, sie sei das Zielobjekt gewesen. Die Information konnte Ihnen ein Motiv geben. Außerdem hätte die Autopsie es auch ans Licht gebracht.« Sie sog müde den Atem ein. »Ich hatte heute Besuch vom staatlichen Lizenzamt. Dort ist man mit meiner Entscheidung nicht einverstanden.«
Aidan runzelte die Stirn. »Und wie haben sie erfahren, dass Sie mit uns gesprochen haben?«
»Die Frau vom Gesundheitsamt hat sie angerufen. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Detective«, sagte sie scharf, als er den Mund öffnete, um genau das zu tun. »Ich wusste, welche Risiken ich einging, als ich diese Fakten weitergab.«
Aber es war ein weiterer Schlag für sie gewesen, das konnte er sehen. Er hatte allerdings keine Ahnung, was ein Lizenzamt unternehmen konnte. »Hatte das … irgendwelche Folgen?«
»Noch nicht. Meine Anwältin war dabei, und das hat die Lage ein wenig entschärft.«
»Aber sie werden wiederkommen. Sobald sie von Winslow erfahren haben.«
»Wahrscheinlich. Genau wie die Reporter, die unten vor der Haustür ihr Lager aufgeschlagen hatten, als ich vorhin nach Hause kam.« Ihre Stimme wurde einen Hauch weicher. »Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Detective Reagan. Ich kann schon auf mich aufpassen.«
Aber dessen war er sich nicht so sicher. Und er fragte sich, wie sie die Neuigkeit aufnehmen würde, dass die Selbstmorde ihrer Patienten gefilmt worden waren – vielleicht aus Profitgier. Er dachte an ihren Gesichtsausdruck, als sie Winslows Leiche gesehen hatte, und wünschte sich, dass sie nichts von den Kameras erfahren müsste. Aber natürlich würde sie es früher oder später erfahren. Nur nicht ausgerechnet schon heute Abend. »Dann lass ich Sie jetzt in Ruhe, Dr. Ciccotelli.« Er hob die verbundene Hand. »Und danke.«
Sie lächelte traurig. »Danke, dass Sie meinen Hintern nicht noch mal ins Präsidium geschafft haben.« Sie zog den Kopf ein. »Tut mir leid. Wenn ich müde bin, habe ich sprachliche Aussetzer.«
Es gab viel bessere Orte, an die er ihren Hintern am liebsten geschafft hätte. Er wandte sich ab, bevor seine gestresste Libido irgendetwas davon wahr machte, und stand einmal mehr vor den gerahmten Zeichnungen, die er vorhin schon eingehend betrachtet hatte. »›T. Ciccotelli‹«, las er in den Ecken der Bilder. »Haben Sie die gemalt?«
»Nein. Mein Bruder Tino.«
Er wandte sich überrascht zu ihr um. »Sie haben einen Bruder, der Tino heißt? Ernsthaft?«
Dieses Mal war ihr Lächeln wirklich vergnügt. »Ich habe sogar vier ältere Brüder – Tino, Gino, Dino und Vito. Und nein, bevor Sie fragen – keiner davon ist ein Soprano.«
Vier ältere Brüder, die wahrscheinlich mit einem starken Beschützerinstinkt ausgestattet waren … wenn das kein entmutigender Gedanke war. Aber er reichte nicht aus. Das Bild des Morgenmantels war noch zu lebhaft in seiner Erinnerung. »Lebt einer von denen in der Nähe?«
Ihr Lächeln wurde wieder traurig. »Nein. Sie sind alle zu Hause.«
»In Philadelphia.«
Ihre Augen weiteten sich. »Woher wissen Sie …? Oh, Sie haben mich überprüft.«
Er nickte ruhig. »Was der Grund dafür ist, warum Ihr Hintern in Ihrer schicken Wohnung sitzt und nicht auf einem harten Stuhl downtown.«
Sie starrte ihn einen Moment lang an und überraschte ihn dann mit einem Lachen, das den ganzen Raum zu erfüllen schien und seinen Puls einmal mehr in Ausnahmezustand versetzte.
»Touché, Detective. Und gute Nacht.«
Er erwiderte das Lächeln. »Gute Nacht.«
Er wartete, bis er den Riegel fallen hörte, dann wandte er sich dem Fahrstuhl zu. Er würde nach Hause fahren und schlafen. Aber zuerst musste er noch einmal duschen. Diesmal am besten eiskalt.
Montag, 13. März, 23.55 Uhr
T ess ließ sich gegen die verriegelte Tür sinken und presste sich den Handballen gegen das Herz. Im nicht lächelnden, zornigen Zustand war Aidan Reagan der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war. Aber lächelnd … war er einfach schön. Und eine Ablenkung, die
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