Nie Wirst Du Entkommen
stirnrunzelnd an. »Warum sollte ich nicht?«
Kristen stieß sich vom Tisch ab. »Ich hole dir jetzt mal Suppe, Tess«, sagte sie rasch. »Willst du eine Tasse oder einen Teller?«
»Einen Teller, denke ich«, antwortete sie, ohne den Blick von Reagan zu nehmen. Verärgerung machte sich in ihr breit. »Detective, warum soll ich nur vorgeben, dass ich die nette Geste Ihrer Mutter zu schätzen weiß?«
Reagan zuckte mit keiner Wimper. »Ich bezweifle nicht, dass Sie die Geste schätzen. Aber es ist ja kein Geheimnis, dass Sie einen etwas teureren Geschmack haben, der durch Wal-Mart kaum abgedeckt werden kann, Doktor.«
Sie riss die Augen auf. »Halten Sie mich für einen Snob?« Er antwortete nicht, sondern sah sie nur schweigend an. Die Hand immer noch am Kragen des Morgenmantels, drehte sie sich auf ihrem Stuhl zu Kristen um, die Suppe in einen Teller gab. »Er hält mich für einen Snob.«
Aus unerfindlichen Gründen traf sie das tiefer als alles, was an diesem schrecklichen Tag geschehen war. Entsetzt stellte sie fest, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Hastig senkte sie den Blick auf den Teller, den Kristen ihr hinschob.
Kristen strich ihr beruhigend über den Rücken. »Die Suppe ist aus der Dose, aber besser als das, was du sonst heute gegessen hast. Nichts nämlich, wie ich gehört habe. Also iss.« Dann überraschte Kristen sie, indem sie sich über den Tisch beugte und Aidan einen Klaps auf den Kopf gab. »Und sie ist kein Snob.«
Er rieb sich den Kopf. »Mann, Kristen. Das tat weh.«
»Das sollte es auch. Ich gehe jetzt nach Hause. Abe hat Dienst heute Nacht, und Rachel ist bei Kara. Aber Kara muss ins Bett und Rachel hat morgen Schule. Tess, iss deine Suppe und zieh dir dann die Joggingsachen an, die ich auf Aidans Bett gelegt habe. Becca sollte ungefähr in einer halben Stunde mit einer Jeans oder so etwas hier eintreffen.« Sie blieb an der Tür stehen und sah noch einmal zurück. Ihre Miene war besorgt. »Aidan. Ist mit Rachel eigentlich alles in Ordnung?«
Tess beobachtete Reagan mit gesenkten Lidern und sah, dass er zusammenzuckte. »Was soll sein?«, fragte er.
Kristen hob die Schultern. »Weiß ich nicht. Sie sagt, es sei alles okay, aber ich merke doch, dass irgendetwas sie belastet.«
»Ich rede mal mit ihr«, erwiderte er knapp und stand auf, um die Tür hinter ihr abzuschließen. Aber er wandte sich nicht um, als Kristen fort war. Die Stille, die plötzlich in der Küche herrschte, war angespannt. Er war wütend. Wie in der ersten Nacht, als sie sich begegnet waren. Und als …
als er geglaubt hat, dass ich eine Mörderin sein könnte.
Wenigstens das glaubte er nun nicht mehr. Dafür hielt er sie für eine arrogante Ziege.
Was er von ihr hielt, sollte sie im Grunde vollkommen kalt lassen. Nur tat es das nicht, und sie war verdammt noch mal zu müde, um etwas anderes vorzugeben. Sie beugte sich über den Teller. Ihre Hand zitterte, und sie machte sich bewusst, dass sie seit mehr als einem Tag nichts mehr gegessen hatte. Die letzte Mahlzeit, die sie zu sich genommen hatte, war eine Suppe in Robins Bistro gewesen. Tess fing langsam an, Suppe zu verabscheuen.
Plötzlich hörte sie, wie Reagan scharf die Luft einsog, und sie schaute auf. Er hatte auf ihre Narbe gestarrt, sie wusste es, doch nun hob er den Blick, um ihr in die Augen zu sehen, und die Suppe war vergessen. Da war nicht nur Zorn in seinen Augen. Sondern auch Lust, reine, unbeherrschte Lust. Das Blut rauschte in ihren Ohren, während sie einander schweigend ansahen. Dann wandte er sich abrupt ab, und als er sprach, war seine Stimme heiser. »Ich gehe in die Garage. Wenn Sie gegessen und sich angezogen haben, treffen wir Jack in Ihrer Praxis. Er will alles durchsuchen, Ihren Tresor eingeschlossen. Dolly, komm.«
Tess blinzelte, als er mit dem Hund auf den Fersen durch eine andere Tür verschwand. Das Hämmern ihres Herzens verebbte, und als sie an sich herabblickte, schoss ihr die Röte ins Gesicht. Ihr Morgenmantel stand weiter offen, als es für irgendeine Vorstellung von Schicklichkeit angemessen gewesen wäre. Vermutlich hatte er doch nicht auf ihre Narbe gestarrt. Und jetzt hielt er sie nicht nur für einen Snob, sondern musste auch glauben, dass sie auf billige Anmache stand. Seit Phillip hatte niemand mehr so viel von ihren Brüsten sehen können, verdammt und zugenäht.
Ganz abgesehen von demjenigen, der Kameras in ihrer Wohnung installiert hatte.
Der dürfte jede Menge gesehen haben.
Seit Monaten.
Verflucht sei
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