Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niedergang

Niedergang

Titel: Niedergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Graf
Vom Netzwerk:
schließlich in ein Plateau übergegangen, das als Ganzes leicht gewölbt war, wie der Panzer einer Schildkröte, im Kleinen jedoch viele ebene Flächen besaß, auch menschentiefe Löcher und breite Spalten. Der Untergrund, wo André stand, war felsig, nur wenige Steine lagen darauf, vielleicht von Wanderern mitgebracht– woher sonst sollten sie stammen?–, und in Mulden waren Steinchen, herangewehter Sand und wenig Erde, Staub.
    Er spannte das Zelt am Fuß des nächsten Bergstückes auf, etwas unterhalb der höchsten Stelle des Plateaus, im Windschatten einer hüfthohen Stufe. Das Igluzelt war wie gemacht für einen felsigen Untergrund: die beiden biegsamen Stäbe, über Kreuz auf der Innenseite des Zelttuchs eingefädelt und in den Zeltboden gesteckt, wurden so stark gebogen, dass sie eine Kuppel bildeten; die Heringe dienten lediglich dazu, das Zelt, wenn es auf weichem Untergrund stand, auf jenem zu befestigen, damit es nicht fortgeweht wurde.
    Da Heringe in die Erde zu stecken auf dem Felsboden nicht möglich war, legte er vorerst seinen Rucksack in das Zelt; zusätzlich versuchte er, die Heringe in schmalen Felsspalten so gut es ging zu verankern.
    An einer windgeschützten Stelle positionierte er den Gaskocher und legte die Packung Hörnchennudeln und einen Würfel Fleischsuppe daneben. Mit Kochen wollte er erst beginnen, wenn Louise angekommen war. Vielleicht wollte sie mit Essen noch warten, er wusste es nicht.
    Er sah sie bereits. Sie schlich mehr, als dass sie ging, als habe sie keine Lust, sich ihm zu nähern. Dann endlich war sie nahe genug, und er konnte fragen, ob er anfangen solle zu kochen.
    » Meinetwegen « , sagte sie und verschwand im Zelt.
    Als das Essen bereit war, Fleischsuppe als Vorspeise sowie als Hauptspeise Hörnchennudeln mit viel Reibkäse– » Schimmelhörnchen « hatten sie bei den Pfadfindern dieses bei Kindern beliebte Gericht genannt–, fand er im Zelt Louise schlafend vor, in den Schlafsack gehüllt, und einen Moment lang überlegte er, ob er sie schlafen lassen sollte. Doch dann würde das Essen kalt; bestimmt war sie hungrig und beklagte sich nachher.
    Da er am Zelteingang kniete, fasste er sie sanft durch den Schlafsack an den Zehen und bewegte diese zärtlich hin und her.
    » Aua! « , rief Louise und schreckte hoch. » Da habe ich eine Blase! «
    Er entschuldigte sich; fragte, ob sie ein Pflaster brauche, sagte, das Essen sei fertig.
    » Ich habe überhaupt keinen Hunger « , antwortete sie.
    » Vielleicht, weil du müde bist. Du solltest aber essen, dir fehlt sonst die Energie, morgen wirst du dich schwach fühlen. «
    Sie aßen schweigsam, er mit großer Lust, die er jedoch zu verstecken versuchte, sie langsam, eher in den Schimmelhörnchen herumstochernd als sie mit der Gabel aufspießend. Schließlich aß er ihren Teller leer; sie wollte es so, sagte, sie werde auch später nichts essen.
    Beide legten sich früh in die Schlafsäcke. André war damit zufrieden, denn im Schlaf erholten sie sich am besten. Und auf diesen Moment, in den Bergen im Zelt zu schlafen wie früher bei den Pfadfindern, hatte er sich lange gefreut. Er hatte Louise geraten, einige Kleidungsstücke, etwa die Hose, in den Schlafsack zu nehmen und damit unten den Fußbereich zu stopfen; sie wärmten zusätzlich die Füße, an denen man am meisten fror, und waren am Morgen bereits vorgewärmt. Doch Louise meinte, auf eine solche Idee könne nur ein Mann kommen, und legte die Kleider ordentlich zusammengefaltet neben sich auf den Zeltboden.
    Trotz Louises schlechter Laune überlegte er, die Reißverschlüsse ihrer Schlafsäcke zu öffnen und sich auf Louise zu legen, sie ohne Vorwarnung zu nehmen, kurz und intensiv, auf dass sie nachher wieder glücklich miteinander waren.
    Er atmete leise, um besser die Geräusche draußen hören zu können; der Wind, ein Tier vielleicht, viel mehr gab es hier oben nicht, das Geräusche machte, keine Bäume, kein Bach.
    » Ich kann nicht schlafen « , sagte Louise.
    Und eine Minute später hörte er ihren tiefen Atem; sie schlief wie eine Bärin. In Gedanken ging er den morgigen Tag durch. Früh schlafen zu gehen, war eine gute Idee gewesen; sie konnten Erholung brauchen, und morgen sollten sie früh aufstehen. Sie durften nicht trödeln. Mussten früh los, damit sie um neun oder zehn Uhr bereits ein schönes Stück geschafft hätten. Der letzte Aufstieg vor der Kletterpartie würde besonders anstrengend werden; vielleicht lag Schnee, wie tief war ungewiss. Und auch

Weitere Kostenlose Bücher