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Niedergang

Niedergang

Titel: Niedergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Graf
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lag im Schlafsack und schlief, obwohl sie bereits in Berlin abgemacht hatten, dass sie an dem Tag der Bezwingung des Gipfels besonders früh aufstehen mussten.
    » Der Kaffee ist fertig « , sagte er vorsichtig, mit gedämpfter Stimme, da auch er gerne noch weitergeschlafen hätte und nicht eben vor Energie sprühte. Außerdem wollte er einen neuen Konflikt vermeiden.
    Louise öffnete die Augen lediglich einen Spalt weit; sie bildeten auf ihrem morgenbleichen Gesicht zwei längliche Schatten, dann wandte sich dieses Gesicht von ihm ab, mit einem genervten Ausdruck.
    » Tut mir leid « , sagte er jetzt in einem Ton, der nur wenig mitfühlend klang. » Aber du weißt doch, dass wir heute früh aufstehen müssen. «
    Er ließ sie liegen, ging zum Gaskocher, setzte sich auf einen Stein und begann zu essen. Falls Louise nicht herauskäme, würde er nach dem Frühstück trotzdem mit dem Zeltabbrechen beginnen. Obwohl sie noch im Schlafsack lag. Er war auch müde, hatte auch schlecht geschlafen, hatte auch Muskelkater, und er war es leid, sich um Louise kümmern zu müssen. Mit ihr zusammen halbierte sich der Aufwand für Routenplanung, Zeltaufbau, Kochen und so weiter nicht; im Gegenteil, er verdoppelte sich, da sie ihn entweder behinderte, weil sie im Weg stand, oder zwar zu helfen versuchte, sich dabei aber so ungeschickt anstellte, dass er die Arbeit noch einmal machen musste.
    Er erinnerte sich an den letzten Frühling, als sie campierten und das Igluzelt gemeinsam aufstellen wollten. Er hatte Louise darum gebeten, die Zeltstangen in das Zelttuch einzufädeln und das Zelt aufzuspannen. Später war ihm aufgefallen, dass die eine Stange nicht richtig in der Halterungstasche steckte; ein Windstoß, und sie wäre herausgerutscht, das Iglu zusammengefallen. Dabei waren diese Halterungstaschen gut sichtbar, kleine genähte Taschen, einige Zentimeter lang– es war doch klar, dass die Zeltstangen dort ganz hineinmussten.
    Als er damals Louise freundlich darauf hinwies, reagierte sie beleidigt und sagte, da sie ja doch alles falsch mache, werde sie den Zeltaufbau in Zukunft ihm überlassen.
    Mit Kritik, auch mit dem sanftesten Hinweis auf etwas, das sie hätte besser machen können, konnte Louise schlecht umgehen. Meistens warf sie die Flinte gleich ins Korn. André hatte irgendwann resigniert. Er sagte nichts mehr, machte schweigsam die nötigen Verbesserungen, wenn etwas nicht stimmte, oder erledigte die Sache gleich von Anfang an selbst.
    Nun sah er Louise aus dem Zelt kommen, gerade als er den letzten Rest des Müslis, in Wasser aufgeweichte Haferflocken mit Rosinen, aus dem Pfännchen löffelte, das noch aus Pfadfinderzeiten stammte. Sie schlich in geknickter Körperhaltung, ohne ihn anzusehen, mehr auf die Frühstückssachen denn auf ihn zu.
    » Guten Morgen « , sagte er mit betont freundlicher Stimme.
    Sie murmelte einen Gruß, setzte sich und füllte ihren Becher mit dem gerade noch lauwarmen Kaffee. Mit beiden Händen hielt sie den Becher fest, nahm einen Schluck, schaute starr vor sich hin, auf einen Punkt irgendwo unten im Tal, nahm wieder einen Schluck und schien nicht an Essen zu denken.
    » Was möchtest du essen? « , fragte er und griff nach der Tüte mit dem Müsli, um eine schöne Portion davon in Louises Geschirr zu schütten.
    Es gebe doch gar keine Auswahl, sagte sie, als mache er ihr Versprechungen, die er nicht halten konnte.
    » Na ja « , sagte er und schaute um sich. » Wir haben noch Äpfel. Oder Teigwaren und Fleischbrühe, Reis… «
    » Komm, du willst doch jetzt nicht anfangen zu kochen, sondern möglichst bald loswandern! «
    Er zuckte mit den Schultern, sagte, dass sie tatsächlich bald aufbrechen müssten, fragte, was sie denn nun essen wolle.
    » Schon gut « , sagte Louise. » Wollen wir weiterwandern? «
    André wusste, dass sie nun wieder ihr Spielchen begann, eine Trotzreaktion, weil sie beleidigt war, wer konnte wissen, weshalb! Aber er wollte nicht mitspielen, wollte sich nicht in die Rolle des ungeduldig Fordernden drängen lassen, der ihr nicht einmal Zeit für das Frühstück ließ.
    » Wir haben noch Zeit « , sagte er. » Du solltest essen, reichlich essen, sonst fehlt dir nachher die Energie. Iss nur, wirklich, ich habe ausreichend Zeit für das Frühstück einkalkuliert! «
    Die Lippen zusammengepresst, bewegte Louise den Kopf verneinend hin und her.
    » Ich habe keinen Hunger. Besser, wir gehen gleich los, vielleicht esse ich später etwas. «
    Er erklärte sich einverstanden

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