Niedersachsen Mafia
großen Stadt wie Hannover anders als im heimischen Flensburg
täglich Wohnraumanzeigen erscheinen würden. Sie überflog den Inhalt der
Zeitung, ließ den umfangreichen Sportteil großzügig außer Acht und las den Rest
der Zeitung quer. Als die Bedienung ihre Getränke brachte, sah Frauke auf.
Dabei bemerkte sie den Mann, der sie schon im Bahnhof angestarrt hatte. Er saß
zwei Tische weiter und beobachtete sie unablässig. Als sich ihre Blicke
begegneten, zeigte er erneut sein Lächeln, das sie schon bei der ersten
Begegnung irritiert hatte. Sie unterdrückte ein Antwortlächeln und aß ihr Gericht.
Dabei bemühte sie sich, nicht in die Richtung des Fremden zu sehen. Fast hastig
schlang sie das Essen hinunter, rief nach der Bedienung, zahlte und stand auf.
Automatisch sah sie zu dem Unbekannten hinüber. Der musste sie die ganze Zeit
beobachtet haben. Jedenfalls zeigte er erneut sein durchaus anziehendes
Lächeln, wie Frauke sich eingestehen musste. Ein merkwürdiges Kribbeln durchzog
sie, obwohl alle Vernunft dagegen sprach. Der Mann war sicher zehn Jahre jünger
als sie.
Sie nahm die freitragende Treppe mit dem gläsernen Geländer zur
Niki-de-Saint-Phalle-Promenade, wie die vom Kröpcke bis unter die Bahnhofshalle
führende Passage zu Ehren der Schöpferin der berühmten Nana-Figuren und
Hannoveraner Ehrenbürgerin hieß, die von manch älterem Einheimischen immer noch
kurz und bündig mit ihrem früheren Namen »Passerelle« bezeichnet wurde. Vor
einem Geschäft mit flippiger Bekleidung, die gar nicht zu ihr passen würde,
blieb Frauke stehen und tat, als würde sie sich für die schreiend bunten
T-Shirts und Jeans interessieren. Dabei warf sie einen Blick zurück. Von dem
Mann war nichts zu sehen. Offenbar hatte er sein Interesse an ihr aufgegeben.
Vielleicht war er ins Basement des gegenüberliegenden Kaufhauses verschwunden.
Frauke kehrte ins Landeskriminalamt zurück. Auf dem Flur begegnete
ihr Putensenf.
»Gesteht Ihr Dienstvertrag Ihnen extralange Pausen zu?«, fragte er.
»Bin ich Ihnen Rechtfertigung schuldig?«
»Ja«, sagte der Kriminalhauptmeister kess. »Als Steuerzahler. In
dieser Eigenschaft finanziere ich Ihr Nichtstun.«
»Ich gebe Ihnen eine zweistündige Auszeit«, erwiderte Frauke scharf.
»Die sollten Sie nutzen, um sich einen neuen Job zu suchen.«
Putensenf grinste sie an. »Sind wir hier bei ›Wünsch dir was‹? Sie
sind nicht Dieter Bohlen und können sich Ihr Dreamteam nicht selbst basteln.«
Er wartete Fraukes Antwort nicht ab, sondern verschwand eilig Richtung
Treppenhaus.
Frauke hatte immer noch Putensenfs Grinsen vor Augen, als sie in ihr
Büro zurückkehrte. Welten lagen zwischen den verzerrten Mundwinkeln des verbiesterten
älteren Kollegen und dem Lächeln des attraktiven Mannes aus der Mittagspause,
dachte sie und nahm die Arbeit an ihren Papieren wieder auf. Andere hätten
nicht die Geduld gehabt, immer wieder die Protokolle zu lesen, Aussagen zu
vergleichen, nach Ungereimtheiten zu suchen und sich Notizen zu machen, um
daraus einen Fragenkatalog für die nächsten Verhöre von Bassetti und Richter zu
erstellen. Es dürfte schwierig werden, dem ehemaligen Hauptkommissar ein
Geständnis abzuringen. Und über die Auftraggeber würden beide nichts verlauten
lassen. In die Strukturen der organisierten Kriminalität hatte sich eine eherne
Gesetzmäßigkeit eingeschlichen. Nur wer schwieg, hatte eine Chance zu
überleben. Da nahm man eine langjährige Freiheitsstrafe in Kauf. Und bei entsprechendem
Wohlverhalten reichten die Arme der Organisation bis hinter die
Gefängnismauern, um dort im angemessenen Rahmen Wohltaten zu verbreiten. Oder
zu strafen, wenn man die Gesetze der Familie verletzte.
Frauke wusste, es würde schwierig werden, hinter die Kulissen zu
blicken. Nicht umsonst hatte man sie mit dem Tod bedroht.
Sie arbeitete zwei Stunden intensiv, bis sie sich eine kleine Pause
zur Auffrischung der Konzentration gönnte. Mit einem neuen Becher Kaffee
gestärkt, setzte sie sich wieder an ihren Arbeitsplatz und rief im Internet
verschiedene Immobilienportale auf. Frauke war über das vielfältige Angebot
überrascht. Neugierig blätterte sie durch die Angebote und notierte sich drei
Adressen. Eine Offerte weckte ihr besonderes Interesse. Die Wohnung in der
Lister Meile war citynah und lag in einem ausgesprochen urbanen Viertel. Sie
rief beim Vermieter an und vereinbarte noch für denselben Abend einen
Besichtigungstermin.
Frauke sah auf, als sie Madsacks Stimme von der
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