Niedersachsen Mafia
Herbsttag. Am Himmel standen leichte
Schleierwolken, so als hätte jemand mit einem breiten Pinsel und zu wenig
wässriger Farbe probeweise über das Firmament gestrichen. Dazwischen lachte ein
blassblauer Himmel. Frauke hatte sich eine leichte Jacke übergezogen und war an
der Schule am Welfenplatz vorbei bis zur futuristisch anmutenden Tankstelle an
der Ecke Celler Straße marschiert. Unterwegs waren ihr zwei Mütter mit
Kinderkarren begegnet, die ihre Töchter hätten sein können. War mein Engagement
für den Beruf wirklich so wichtig für mich, dass ich darauf verzichtet habe?,
fragte sie sich.
Sie überquerte die Celler Straße, passierte den kleinen Platz mit
den Bäumen und der Litfaßsäule und bog in die kleine Grünfläche mit dem
Kinderspielplatz ein, die von Wohnblocks gesäumt wurde. Im Hintergrund
überragte der Fernmeldeturm mit der unübersehbaren Werbung für die Wolfsburger
Autoschmiede an der Spitze alles. Von hier waren es nur noch wenige Schritte
bis zur lebhaften Hamburger Allee mit ihren acht Fahrbahnen.
Frauke wartete einen günstigen Moment ab und hastete bis zum
Mittelstreifen, um anschließend die zweite Straßenhälfte zu überqueren. Zwischen
dem Einkaufszentrum und dem Fuß des Turms zweigte sie Richtung Bahnhof ab, um
kurz darauf den rückwärtigen Eingang am Raschplatz zu erreichen. Mittlerweile
hatte sie sich daran gewöhnt, dass hier die Gestrandeten der Großstadt
lagerten, Alkohol tranken, rauchten oder einfach nur mit ihren Hunden im Arm
die Zeit vergehen ließen.
Im Hauptbahnhof herrschte die gewohnte Betriebsamkeit. Menschen
hasteten mit ihrem Gepäck an der Hand von einem Bahnsteig zum nächsten, andere
verharrten unschlüssig und sahen sich orientierungslos um. Dazwischen wuselten
Beschäftigte, die wie sie auf dem Weg zu Besorgungen in der Mittagspause waren.
Auf dem Weg kaufte sie im Bahnhof im Zeitungsladen am Aufgang zum
Bahnsteig 9 eine Hannoversche
Allgemeine, in der Hoffnung, Immobilienanzeigen zu finden.
Als sie die Buchhandlung verließ, sah sie einen hochgewachsenen,
sportlichen Mann. Er war braun gebrannt, hatte ein markant geschnittenes
Gesicht mit dunklen Augen und schwarzen Haaren, in die er lässig eine
Sonnenbrille hochgeschoben hatte. Zur weißen Jeans trug er ein Poloshirt. Den
rechten Zeigefinger hatte er hinter den Aufhänger einen leichten Sommerjacke
geklemmt, die er leger über die Schulter geworfen hatte. Für einen Moment
trafen sich ihre Blicke. Der Mann, Frauke schätzte ihn auf Mitte bis Ende
dreißig, verzog sein Gesicht zu einem Lächeln und zeigte dabei zwei Reihen
weißer Zähne, die auf attraktive Weise zu seinem gebräunten Gesicht in Kontrast
standen. Er war ein mediterraner Typ, bei dem sicher manche Frau auch einen zweiten
Blick riskierte.
Frauke erwiderte das Lächeln, klemmte sich ihre Zeitung unter den
Arm und verließ die Bahnhofshalle Richtung Innenstadt.
Es überraschte sie nicht, dass sich »unterm Schwanz« wieder eine
Reihe von Menschen fanden, die dort offensichtlich auf jemanden warteten. Sie
hatte gelernt, dass man sich in Hannover kurz und bündig »unterm Schwanz«
verabredete und damit den weit ausladenden Schweif des Pferdes meinte, auf dem
König Ernst August von Hannover saß.
Sie musste einen Moment warten, weil Straßenbahnen aus beiden
Richtungen kreuzten. Dann überquerte sie den Platz und folgte der Bahnhofstraße
bis zum Kröpcke. Der zentrale Platz in der Innenstadt war nach einem seit dem
neunzehnten Jahrhundert sich dort befindenden Café benannt, an dem sich die
Hauptwege der weiträumigen Fußgängerzone kreuzten. Markant ragte der
historische Uhrenturm heraus, obwohl es sich nur um eine vereinfachte
Rekonstruktion aus den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts handelte.
Anstelle des ursprünglichen Cafés trug heute ein moderner Nachbau einer
Schweizer Gastronomie- und Hotelkette den Namen. Blank gescheuerte Holzbänke
und Tische sowie einzelne Tische mit bunten Stühlen unter weit ausladenden
Sonnenschirmen füllten den Platz.
Bei diesem Wetter waren freie Plätze im Außenbereich rar. Frauke
hatte Glück. Ein Paar war im Begriff zu gehen, und sie steuerte den Tisch an.
Sie hatte kaum Platz genommen, als eine Bedienung nach ihren Wünschen fragte.
Frauke warf einen kurzen Blick auf die Karte und bestellte einen Barista
Special und ein Mineralwasser. Sie schlug die Zeitung auf und war enttäuscht
darüber, dass sie keine Immobilienanzeigen fand. Sie hatte im Stillen gehofft,
dass in einer
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