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Niederschlag - ein Wyatt-Roman

Niederschlag - ein Wyatt-Roman

Titel: Niederschlag - ein Wyatt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PULP MASTER Frank Nowatzki Verlag GbR
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Backofentür, glitt das gesamte Element nach vorn und dahinter entdeckte man einen Safe. Wyatt hatte sich ein Bündel 100-Dollar-Scheine geschnappt, seinen .38er-Revolver und ein auffälliges Collier, hatte gerade alles verstaut, als Liz’ Stimme von oben ertönte. »Wyatt? Ist alles in Ordnung?«
    Â»Komme schon.«
    Er hatte ihren Kaffee mit Mogadon versetzt, zusätzlich einen gehörigen Schuss Scotch hineingekippt und den Kaffee hinauf ins Ruderhaus gebracht.
    Sie hatte ihm das Steuerrad übergeben und gleich darauf an dem Kaffee genippt. »Uh, der hat’s in sich, ein echter Pharisäer.«
    Wyatt hatte nichts erwidert, hatte wieder die unruhige See beobachtet. Das Schweigen zwischen ihnen war kein einvernehmliches gewesen. Man hatte die Standpunkte erörtert, sofern Wyatt dazu überhaupt in der Lage gewesen war, und mit einer gewissen Wehmut war ihm nur noch das Warten geblieben, das Warten darauf, dass der letzte Akt seines Dramas vom Verrat eingeläutet wurde. In einer Stimmung, geprägt von Distanz und Apathie, waren sie durch die Dunkelheit gesegelt.
    Jemand hatte ihm einmal vorgeworfen, er agiere gefühlskalt. Er grübelte darüber nach, während das Flugzeug über den Bass Strait Islands in Schräglage ging. Er musste nicht lange grübeln, um zu erkennen, dass es das wert war, wollte er das Gesicht wahren, das er der Öffentlichkeit präsentierte. Er wusste, dass es anmaßend, unverschämt, manchmal sogar abschreckend wirken konnte, gab man nichts von sich preis. Die Gesichter der meisten Menschen waren Gradmesser ihrer Gefühle. Von Zweifeln, Skrupeln und Konflikten beherrscht, nahmen sie jeden nur möglichen Ausdruck an. Aber es entsprach nicht der Wahrheit, dass Wyatt gefühllos sei. Er hatte eben nur Platz für die wesentlichen Gefühle, mehr nicht, und die behielt er für sich. Bis jetzt war das auch niemals ein Problem gewesen.
    Die Stimme des Piloten riss ihn aus seiner melancholischen Stimmung. Sie setzten zur Landung an.
    Zehn Minuten später war klar, dass Wyatt die Nacht auf der Insel würde verbringen müssen.
    Am nächsten Morgen saß er im ersten Flugzeug, das die Insel verließ. In Hobart angekommen, nahm er ein Taxi. Zwar bestand immer die Gefahr, dass sich ein Taxifahrer eines Tages an Wyatts Gesicht erinnern könnte, aber der Bus vom Flughafen in die Innenstadt war keine Option. Über diesen Bus wusste Wyatt nur zu gut Bescheid. Er hatte schon einmal darin festgesessen. Gut zehn Jahre älter als ähnliche Busse sonstwo in der Welt, würde er die Autobahn entlangbrummen, die Brücke überqueren, sich in den dichten Einbahnstraßen-Verkehr von Hobart einreihen und seinen Fahrgästen das Gefühl einer erfolgreichen Mission vermitteln. Doch aus unerfindlichen Gründen würde er dann vor jedem Hotel halten, vor jedem Motel und auch am Casino, würde im Anschluss die Sandy Bay Road entlangtuckern, immer mal wieder Fahrgäste absetzen, bevor er sich zurück in die Innenstadt schlängelte, zum Busbahnhof, nur unwesentlich leerer als zu Beginn der Fahrt, wobei die Mehrheit der Fahrgäste so auf die wenigen Auserwählten Rücksicht zu nehmen gezwungen war. An diesem Bus war wirklich nichts Demokratisches.
    Wyatt stieg am Kai gegenüber dem Salamanca Place aus und erlegte sich auf diese Weise einen zehnminütigen Spaziergang zu seinem Apartment auf. Noch nie in seinem Leben hatte er sich von einem Taxi vor der Haustür absetzen lassen. Immer hielt er sein Ziel geheim und verwischte seine Spuren. Es war ihm zur zweiten Natur geworden, war Teil eines ideellen Handlungskataloges, der ihm das Überleben sicherte, ihn vor dem Knast bewahrte und ihn seit dem Tag seiner Geburt den anderen einen Schritt voraus sein ließ.
    Das Versorgungsschiff der Mawson-Base lag im Dock. Er vertrödelte dort ein wenig Zeit und verfolgte, wie Lastkisten voller Lebensmittel und Ausrüstung mit Hilfe einer Winsch an Bord befördert wurden. Der Bug des Schiffes war zerkratzt, frisch verwundet sozusagen, als sei das Schiff jüngst durch eine Fahrrinne im Eis gepflügt, Farbschlieren im Kielwasser inklusive.
    Wyatt machte sich auf den Weg. Er blieb kurz am Bordstein stehen, wartete auf eine Lücke im Verkehr und wurde so beinahe Zeuge eines tödlichen Unfalls. Ein Junge kam von der anderen Straßenseite über die Fahrbahn geschlendert. Er war etwa zehn, unterernährt, schlecht

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