Niederschlag - ein Wyatt-Roman
Mistkerl.«
Liz sagte milde: »War er nicht der Freund Ihres Bruders? Hat er nicht etwas beigesteuert? Für die Miete, für Rechnungen und Unterhaltskosten?«
»Um sein Gewissen zu beruhigen.«
»Ihr Bruder hat für ihn Einbrüche geplant, Nettie. Er wurde nicht dazu gezwungen.«
Nettie blieb störrisch. »Wyatt hat Frank beeinflusst.«
Liz bezweifelte das. »Ich muss wissen, wie Frank mit Wyatt Verbindung aufgenommen hat. Wenn Frank einen Coup ausgearbeitet hat, auf welchem Wege hat er Fotos, Grundrisse und Informationen geliefert?«
»Ãber so âne Art toter Briefkasten.«
»Sie meinen postlagernd?«
»Nennen Sieâs, wie Sie wollen. Er leidet unter Verfolgungswahn. Will nicht, dass man weiÃ, wo er wohnt.«
Liz nickte. Sie hatte plötzlich den Eindruck, ihr Leben sei unwirklich. Wyatts Leben, ein geheimes, verworrenes Parallelleben, schien mit einem Male viel klarer und reizvoller. »Sie waren also nie in seiner Wohnung?«
Nettie zuckte mit den Achseln. »Wieso sollte ich?«
»Kennen Sie jemanden, der dort war? Jemanden aus seiner Familie vielleicht?«
»Soweit ich weiÃ, gibt es nur einen Neffen.«
Liz wurde hellhörig. »Einen Neffen?«
»Raymond Wyatt. Ein Schaumschläger.«
»Wo könnte ich ihn finden?«
Nettie lachte auf. »Versuchen Sieâs doch mal mit dem Telefonbuch.«
Na schön, dachte Liz. »Dieser tote Briefkasten. Wo war der?«
»Hobart«, murmelte Nettie.
Hobart. Wie sie Wyatt und seine VorsichtsmaÃnahmen kannte, war der tote Briefkasten längst inaktiv. Doch kein Mensch kann sich völlig abkapseln; er hat Wünsche, Bedürfnisse, die ihn in Kontakt mit der Umwelt bringen. Er hat mit Zahnärzten und Ãrzten zu tun, mit Immobilienmaklern und Inhabern von Läden. Hobart war ein kleiner Ort. Sie konnte dorthin fahren und sein Foto herumzeigen. Viel war darauf nicht zu erkennen. Es war ein undeutliches, aus groÃer Entfernung geschossenes Ãberwachungsfoto. In seiner grenzenlosen Vorsicht hatte Wyatt sich nie klar fotografieren lassen.
»Wo, in Hobart?«
Netties Lächeln hatte nichts mit Humor gemein. »Kann ich wirklich nicht sagen. Ich weià nur, Sie sind zu weit weg und kommen zu spät.«
»Nettie«, sagte Liz warnend, »was ist los?«
»Warten Sieâs ab. Ich sage nur, wer die Jardines verletzt, bekommt die Quittung.«
ELF
AuÃerhalb Hastings fing der Taxifahrer Wyatts Blick im Rückspiegel auf. »Haben Sie hier eine Yacht?«
Er will wohl mit mir übers Segeln reden, dachte Wyatt. Um dem vorzubeugen, sagte er: »Ich verbringe nur ein paar Tage hier.«
»Gefälltâs Ihnen?«
»Ja, schon.«
»Die Leute sind der Ansicht, das hier wär tiefste Provinz, aber auch bei uns spielt sich einiges ab.«
»Ja«, sagte Wyatt.
»Der Junge, der auf der anderen Seite der Halbinsel entführt wurde, und dieser Killer oben in Frankston. Im Yachthafen kann man sogar ein Boot sehen, das die Polizei beschlagnahmt hat. Hat was mit Schmuggel von Vanuatu oder so zu tun.«
Wyatt sah aus dem Fenster. Das Taxi fuhr an sumpfigem Flachland vorbei. Jenseits davon befand sich eine Raffinerie. Ein groÃer Tanker lag im Dock.
Wyatt lieà den Fahrer reden. Als er endlich im Terminal des Flughafens von Tyabb war, stellte er sich ans Fenster und sah hinaus auf die Start- und Landebahn. Völlig unerwartet wischte ein Schatten über das Flugfeld, für einen winzigen Moment wurde die Sonne ausgeknipst und dumpfer Motorenlärm verschlang alle üblichen menschlichen Geräusche. Wyatt blickte auf. Ein Flugzeug rauschte heran, kompakt, mit hohem Cockpit und dem Emblem der US Navy. Es stammte aus dem Zweiten Weltkrieg und Wyatt hatte es ewig nicht gesehen, hatte es aus seinem Gedächtnis verdrängt. Es war immer hinter seinem Haus in Shoreham vorbeigeflogen. Er beobachtete, wie die Maschine den Seitengleitflug einleitete, aufsetzte und ein wenig hüpfte, bevor sie auf die Hangars zurollte. Neben dieser Maschine wurden die Cessnas und Pipers zu Miniaturflugzeugen.
Um vier Uhr gingen Wyatt und sechs weitere Passagiere an Bord eines mehrmotorigen Propellerflugzeugs. Während des Aufstiegs sah er, wie die Landschaft unter ihm Details offenbarte: eine Schule an einer Kreuzung, eine Speditionsfirma, ein Motel, in der Ferne ein Lichtblitz â Sonnenlicht, reflektiert von der Raffinerie in
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