Niederschlag - ein Wyatt-Roman
zu hören. Es roch abgestanden. Er lauschte, lauschte, ob ein Hüsteln oder das statische Knacken eines Funkgerätes zu hören war oder das Rasseln einer Jalousie.
Raymond wartete zehn Minuten, dann verlieà er das Haus und ging hinüber zu der Holztreppe an der Rückfront des Verwaltungsgebäudes und der angrenzenden Bibliothek. Er stieg die Stufen hoch und betrat das Verwaltungsgebäude. Die Fenster waren milchig, vor Urzeiten beschmiert mit weiÃer Farbe. Er schaute hinter die eine oder andere Tür und schwach beleuchtete Flure entlang.
Nichts.
Als er die Treppe wieder hinunterstieg, wanderte sein Blick auf der Suche nach anderen Polizeiposten über den Parkplatz. Da war etwas neben dem Eingang zur Bank, der Transporter eines Elektrikers. Aber die Heckfenster waren klar und eine Minute später sah er dann die Werkzeugkästen, Schalter und Rollen mit Elektrokabel hinten im Wagen. Der Elektriker stand auf einer Leiter, die gegen die Fassade einer Boutique gelehnt war, und installierte ein neues Neonschild. Er sah echt aus. Kein Hinweis auf ein Funkgerät, Mikrofon oder einen Knopf im Ohr. SchlieÃlich schlenderte Raymond ein paarmal an den Geschäften vorbei. Nichts. Blieben nur noch die Dächer, aber er konnte nicht alles überprüfen.
Raymond betrat die Bank. Es war nur eine Kundin drinnen, eine Frau mit einem Neugeborenen; es schlief und war bis zum Kinn in eine helle Decke gewickelt. Es musste nicht unbedingt eine Frau mit ihrem Baby sein, es hätte sich genauso gut um einen weiblichen Cop mit einer Puppe handeln können. Doch das Baby fing an zu schnuffeln und zu quengeln, also entspannte er sich um einige Grade und schindete Zeit, indem er sich einen Kugelschreiber und einen Auszahlungsschein holte.
Drei Angestellte: die Kassiererin, eine junge Frau vor einer Tastatur im hinteren Bereich, im Glaskasten der Filialleiter, der die Tasten einer Additionsmaschine malträtierte, während er gleichzeitig einen Stapel Belege durchging.
Als die Frau mit Baby gegangen war, näherte sich Raymond der Kassiererin. Er verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, so dass die Frau nur seine Zähne sehen konnte, den Rest verbargen eine dunkle Sonnenbrille und der Motorradhelm. Sie wollte gerade auf das Schild weisen, dem zufolge Motorradfahrer gebeten wurden, ihre Helme abzunehmen, als ihre Augen von der Mündung der Flinte angezogen wurden. Die Kassiererin stöhnte leise auf.
Raymond sagte nichts, schob lediglich die Tasche irgendeiner Fluggesellschaft über den Tresen. Die Kassiererin machte sich daran, die Tasche zu füllen, zuerst mit dem Bestand aus ihrer Kasse, dann öffnete sie mit einem Schlüssel die anderen Kassen. Raymond ging kurz durch den Kopf, ob sie eventuell schon einmal überfallen worden sei. Die beiden anderen Angestellten hatten noch nichts bemerkt. Die Tastatur klapperte, der Filialleiter beschäftigte sich weiter mit seinen Belegen. Raymond nahm die Tasche entgegen, legte einen Finger auf den Mund und sah, wie die Kassiererin mit vor Ãberraschung geweiteten Augen an ihm vorbeisah.
Er drehte sich um. Jenseits der Schaufensterscheibe lag eine schweigende Welt, eine Welt, wo aus dem Nichts eine Wende eintreten konnte, mit der man nicht gerechnet hatte. Ein Wachmann hatte neben der Tür Posten bezogen. Er schlürfte einen Kaffee und hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um sich mit dem Elektriker zu unterhalten.
»Der war gestern nicht hier«, sagte Raymond schroff.
»Er wechselt zwischen unseren einzelnen Filialen in der Region«, sagte die Kassiererin.
Raymond reagierte schnell, lieà Geld und Waffe an Ort und Stelle, streifte seine Motorradjacke ab, nahm den Helm vom Kopf und verlieà pfeifend die Bank. Er ging von zirka dreiÃig Sekunden aus, die ihm blieben, bis die Bankangestellten realisierten, was geschehen war. Der Blick des Wachmanns streifte ihn eher beiläufig. Raymond entfernte sich zu Fuà vom Einkaufszentrum. Sein Ziel war das Krankenhaus, wo er einen Krankenwagen stahl, mit dem er bis zur nächsten Stadt fuhr. Ãber ein System von NebenstraÃen gelangte er Richtung Osten. Es gab keine StraÃensperren, keine Wagen, die die Verfolgung aufgenommen hatten. Das würde sich bald ändern, doch dann war er bereits über alle Berge.
Später stahl er einen Gemeindebus und fuhr damit bis Geelong. Dort mietete er ein Auto. Auf der Fahrt nach Norden Richtung Melbourne hörte sein Herz auf zu
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