Niederschlag - ein Wyatt-Roman
mit der offensichtlichen Konkurrenzsituation und den Ressentiments zwischen ihnen zu tun hatte. Er sagte nichts. Würde er sich um die Probleme der Leute kümmern, mit denen er arbeitete, hätte er nie etwas bewegt. Er sah das so.
AuÃerdem musste Raymond lernen, dass der Job an erster Stelle stand. Er musste sich zügeln. Wyatt versuchte, die Jahre Revue passieren zu lassen. War er jemals ungeduldig gewesen? War er jemals jung gewesen? Manchmal kam es ihm so vor, als wäre er als Erwachsener in diese Welt getreten, als hätte er schon immer dieses Alter gehabt, diese Umsicht besessen. Wenn es überhaupt je eine Phase gegeben hatte, in der er Kind, in der er Jugendlicher gewesen war, dann war er es nur dem Kalender, nicht dem Charakter nach gewesen. Vielleicht ist das zu bedauern, dachte er.
Jetzt aber sagte er etwas. »Letzten Endes ist es unsere Sache, Ray.«
Doch Raymond hörte gar nicht hin. Seine Augen waren schmale Schlitze. »Als ich zur Schule gegangen bin, hatten wir eine Heidenangst vor Asbest.«
»Asbest?«
»Da sind diese Typen aufgetaucht und haben die Decken untersucht. Es war nichts, der Laden war sauber, aber wir hatten alle eine ScheiÃangst.«
»Und weiter?«
Raymond rieb die Hände aneinander, dachte nach. »Also gut. Sagen wir mal, wir geben uns als Elektriker aus. Dann besteht die Gefahr, dass wir den echten Elektrikern über den Weg laufen. Geben wir uns jedoch als Fachleute in Sachen Asbest aus, sind wir nicht nur die Einzigen, wir passen auch ins Umfeld und jeder wird einen Bogen um uns machen.«
Wyatt sah ihn an und lächelte flüchtig. Das war seine Art, Raymond zu loben, aber Raymond interpretierte es falsch.
»Also was? Dann denk dir doch was Besseres aus.«
»Das ist gut, Ray.«
Raymond beruhigte sich wieder. Er wandte sich ab und murmelte: »Lass uns diesen Transporter besorgen.«
ACHTUNDZWANZIG
Raymond hielt vor einem Parkhaus in Chadstone. Die Nummernschilder hatten sie bereits â abgeschraubt von einem VW-Wrack, das vor einer Autowerkstatt in Altona vor sich hin staubte â, jetzt mussten sie nur noch das passende Fahrzeug auftun.
»Lass uns den Transporter da drüben checkenâ«, sagte Raymond einige Zeit später.
Ein weiÃer Falcon mit Dachgepäckträger und Heckfenstern. Es war kein Firmenwagen, konnte jedoch ohne groÃen Aufwand zu einem werden. Sie folgten dem Wagen bis zur obersten Ebene und beobachteten, wie der Fahrer, ein älterer Mann, den Wagen parkte, ihn abschloss und zum Fahrstuhl trottete.
Als der Mann verschwunden war, näherte sich Raymond der Fahrertür, ein Montiereisen in der Hand. Er setzte zwischen Tür und Rahmen an, hebelte. Durch den nun eröffneten Spalt schob er eine Schlinge aus festem Kunststoffband hinter das Fenster. Wyatt behielt unterdessen beide Richtungen der Rampe im Blick. Mittwoch, früher Nachmittag. Am Freitagnachmittag gegen vier mussten sie auf dem Campus sein, blieben ihnen also zwei Tage, den Wagen entsprechend herzurichten.
Er drehte sich in dem Moment um, als Raymond mit der Plastikschlinge den Knopf der Türverriegelung zu fassen bekam und nach oben zog. Es machte klick. »Prächtig.«
Raymond schlüpfte hinter das Steuer. Wyatt verharrte, erwartete einen Alarm, doch es blieb ruhig. Nur Raymond zerstörte jetzt diese Ruhe. Mit zusammengebissenen Zähnen und hektischen Bewegungen machte er sich mit dem Montiereisen an der Zündung zu schaffen. Die Plastikummantelung zersplitterte in diverse Einzelteile und legte so die Elektronik dahinter frei. Er schloss den Motor kurz und grinste Wyatt an. »Ein Kinderspiel.«
»Und deutlich zu sehen für jeden, der einen Blick durchs Fenster wirft«, sagte Wyatt. »Einen Moment noch.«
Er ging zur Vorderseite des Transporters, anschlieÃend zum Heck, befestigte die gestohlenen Nummernschilder über den Originalen. Mit der Hand tastete er den hinteren Radkasten ab. Der Metallbehälter war klein, hatte einen Schiebeverschluss und an der Unterseite einen Magneten. In der Metallbox lagen die Ersatzschlüssel für Haus und Wagen des Autobesitzers, und als Wyatt auf den Beifahrersitz glitt, warf er sie seinem Neffen in den Schoss. Er ersparte sich einen Kommentar, legte nur den Sicherheitsgurt an, doch sein Schweigen war kalt und bedrückend.
Raymond starrte auf die Schlüssel. Unter seiner Oberfläche lauerte stets ein Grinsen und das
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