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Niederschlag - ein Wyatt-Roman

Niederschlag - ein Wyatt-Roman

Titel: Niederschlag - ein Wyatt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PULP MASTER Frank Nowatzki Verlag GbR
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draußen sehen, dass die Vorhänge geschlossen werden, obwohl eigentlich niemand im Raum sein sollte«, sagte Wyatt.
    Â»Dann können wir kein Licht anmachen.«
    Â»Der Strom ist abgeschaltet, schon vergessen?«
    Raymond warf sich auf das Sofa. »Du sprichst mit mir, als wär ich ein Schuljunge. Dann sag mir doch einfach, was ich machen soll, verdammt.«
    Wyatts Gefühle für seinen Neffen waren kompliziert, es war eine Mischung aus Zuneigung, Hass und Enttäuschung. Aber Raymonds Unmut hatte sich ein wenig gelegt, hatte höchster Anspannung und Vorsicht Platz gemacht, und aus Wyatts Sicht war das eine gute Sache. Er sprach mit leiser Stimme, während er den Aluminiumkoffer öffnete: »Wir arbeiten bei natürlichem Licht, der Mond wird heute Nacht scheinen. Und zusätzlich haben wir die hier.« Er hob zwei Taschenlampen hoch, deren Reflektorköpfe größtenteils überklebt waren. »Sie produzieren lediglich einen schmalen Streifen Licht. Richte sie nur nicht auf das Fenster.«
    Raymond zuckte mit den Achseln. Es war ein müdes Schulterzucken, holperiger Ausdruck eines Anflugs von Zorn. »Eins weiß ich jetzt mit Bestimmtheit, ich arbeite besser allein.«
    Â»Komm schon, Kleiner, hilf mir mit dem Schloss vom Lagerraum.«
    Â»Kleiner« war für Wyatt höchster Ausdruck seiner Zuneigung, doch als er sah, wie sein Neffe das Gesicht verzog, wurde ihm klar, dass er den falschen Ausdruck gewählt hatte. Aber das musste jetzt warten.
    Er öffnete die Tür zum Lagerraum und sie gingen hinein. »Wenn du die Taschenlampe hältst, kann ich anfangen zu sortieren.«
    Der Lagerraum war klein und hatte keine Fenster. Die Regale, voll mit Büchern, Fachzeitschriften, Buchdeckeln und Leimtöpfen, waren in Hüfthöhe angebracht. Unterhalb der untersten Regalbretter, gegen zwei Wände gelehnt, standen die Gemälde.
    Â»So weit, so gut«, sagte Wyatt.

    NEUNUNDZWANZIG

    Wyatt sah die Gemälde durch, sortierte die aus, die auf Chaffeys Liste standen. Die Sammlung enttäuschte ihn zutiefst. Mindestens die Hälfte war wertloses Zeug, bestand aus minderwertigen Zeichnungen und Drucken. Das Wertvolle der Kollektion waren die Ölgemälde und Aquarelle namhafter Künstler.
    Draußen wurde es dunkel. Sie räumten einen Teil des Bodens in der Bibliothek frei und machten sich daran, jedes Gemälde akribisch aus seinem Rahmen zu entfernen. Obwohl Wyatt wusste, dass es notwendig war, verabscheute er diesen Akt. Jede straff gespannte Leinwand war voller Vitalität und sie verlor sie in dem Moment, wenn sie vom Rahmen genommen wurde. Sie einzurollen und in ein Versandrohr zu stecken war absolute Barbarei. Aber es geschah. Kunstdiebe agierten nun mal so. Ich kann es mir nicht leisten, sagte sich Wyatt, wegen ein paar Gemälden sentimental zu werden. Das war neu für ihn. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte er ein Gemälde eher verbrannt, als seinetwegen ins Gefängnis zu wandern.
    Sie hatten eine lange Nacht vor sich. Wyatt war das Warten gewohnt und in Anbetracht der Erfahrungen, was das Ausspionieren und Ausrauben von Banken betraf, hatte er angenommen, das Gleiche gelte auch für seinen Neffen, doch dessen wippender Fuß und sein ständiges Umhergehen verrieten das Gegenteil.
    Enerviert, dass Raymond ständig von einem knarrenden Sessel aufstand, um ein weiteres Mal durch den Raum zu tigern, zischte er ihn an: »Es sind noch neun Stunden bis zum Morgen. Versuch zu schlafen.«
    Raymond legte sich auf den Teppich, streckte sich aus, seufzte, rollte sich auf den Rücken und machte im Mondlicht mit den Fingern Schattenspiele. »Warum wurdest du niemals geschnappt? Hast du nur Schwein gehabt?«
    Es ärgerte Wyatt, dass sein Leben auf Begriffe wie Glück und Zufall reduziert wurde. »Ich habe Fehler gemacht. Es ist einiges passiert, was nicht hätte passieren dürfen, aber nicht weil ich Pech hatte, sondern weil ich nicht genügend nachgedacht habe. Und wenn die Bullen mich nicht geschnappt haben, dann bestimmt nicht, weil ich Glück hatte — ich habe dafür gesorgt, dass sie mich nicht schnappen.«
    Â»Du hast geschossen, um zu töten.«
    Wyatt hasste das. »Wenn ich einen Job durchziehe, bin ich mir bewusst, dass die Waffe in meiner Tasche mir zusätzlich zehn Jahre einbringt, wenn man mich erwischt. Ich weiß aber auch, dass sie dazu da ist, um mein Leben zu retten und nicht, um

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