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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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hatten. Kein Mensch wusste mehr, was dort einmal abgebaut worden war, vermutlich Eisenerz oder Molybdän oder Weißgottwas. Oben auf der Bergspitze lag die Aussichtsplattform, wo die Busse parkten. Von dort aus kam man, nach einem kleinen Marsch durch unwegsames Gelände, zum Eingang des Stollens. Der kleine, mannshohe Tunnel führte etwa dreißig oder vierzig Meter durch den Berg, er endete an der Unterseite eines mächtigen Felsüberhangs in einer Nische, die man vom Parkplatz hier unten mit einem Fernglas bestens beobachten konnte. Dem Putzi kam es manchmal vor, als wäre das da oben eine unförmige, nach oben gereckte Nase mit einem kleinen Nasenloch. Damit niemand abstürzte, war dieses Nasenloch von Bergarbeitern wohl mit einem grobmaschigen, stabilen Gitter verschlossen worden. Dadurch war eine Art Käfig entstanden. Für den Putzi war es eine windumschmeichelte, ausgesetzte Voliere für die Wiedergeborenen.
     
    Die vergitterte Käfighöhle lag lediglich ein paar Meter unterhalb der Bergklippe des Martinsbichls, einen Schrei hätte man jedoch auf der Aussichtsplattform nie und nimmer gehört, denn glücklicherweise lärmte ein kleiner Wasserfall in der Nähe, der lustig hinunter ins Tal rauschte. Der Wasserfall hatte noch einen Vorteil: Wenn jemand die imposante Felswand von unten fotografierte, dann hielt er auf den lustig sprudelnden Wasserfall und nie und nimmer auf die unscheinbare Nasenlochhöhle zwanzig Meter daneben. Der Stollen mit dem freien Ausgang dort oben lag so perfekt, dass der Putzi es anfangs kaum glauben konnte. Er hatte versuchsweise eine Puppe im Inneren des Käfigs platziert, er hatte ihr sogar ein Schild mit der Aufschrift HILFE umgehängt. Wenn jetzt irgendjemand ein bisschen gewackelt hätte mit der Kamera, dann hätte man das doch bei einem Diavortrag in Bottrop oder Nagasaki sehen müssen. Es hatte sich jedoch nie jemand gemeldet, weder bei der Polizei des Kurortes noch sonst wo. Der Putzi hatte sich damals vorgenommen, dieses Plätzchen für jemand ganz Besonderen zu verwenden. Für ein Königskind der Wiedergeburt.
     
    Wieder tauchte ein Hubschrauber auf, er kreiste eine Weile herum, verschwand dann wieder. Das Kind dort oben schlief immer noch. Wenn es erwachte, würde es nicht sofort in die Tiefe schauen, denn der Putzi hatte ihm die kleine Decke ausgebreitet. Aber eine Stelle des Gitters, eine Stelle am Rand, die hatte der Putzi aufgesägt. Sie war gerade so groß, dass man sich hinunterstürzen konnte in die Tiefe. Das Mädchen räkelte sich jetzt ein wenig.

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    Wu, die Leere des Geistes
    Jennerwein schlug mit der Faust auf den Tisch, das Team hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Man hatte sich allerdings auch noch nie in solch einer ohnmächtigen und aussichtslosen Lage befunden. Es war nicht zum Aushalten: Man konnte lediglich warten, bis einer der vielen Hubschrauber, die in der Luft kreisten, fündig wurde.
     
    Das vierjährige Mädchen war gestern Nachmittag entführt worden, und der Luftraum über dem Werdenfelser Kessel glich immer mehr der Anflugschneise eines Bienenkorbs. Die schweren Brummer flogen die von Stengele und Ostler vorgegebenen Koordinaten an, es waren oft bis zu acht Stück in der Luft. Alle verfügbaren Rettungskräfte waren mobilisiert worden, das Technische Hilfswerk, das Rote Kreuz und die Bergwacht arbeiteten gut zusammen, mehr Flugkörper passten aber beim besten Willen nicht mehr ins Tal.
     
    »Maria«, sagte Jennerwein, »Sie sind der Täter. Sie sitzen irgendwo da draußen in den Bergen und beobachten das Opfer. Um Sie herum wird das Geknatter der Hubschraubermotoren immer lauter. Wie verhalten Sie sich? Reagieren Sie panisch und laufen Sie davon?«
    »Ich bleibe in meiner Stellung«, entgegnete Maria. »Ich habe schon vorher gewusst, dass die Entführung eines Kindes einen riesengroßen Fahndungsaufwand nach sich ziehen wird. Ich bin nicht erschrocken darüber, ich bin eher stolz darauf, dass wegen mir solch eine Show inszeniert wird. Und mit jeder Minute, die vergeht, gewinne ich an Sicherheit, dass der Aufwand der Ermittlungsbehörden umsonst sein wird. Ich bilde mir nämlich ein, dass ich ein Versteck für das Kind ausgewählt habe, das niemals entdeckt werden wird.«
    »Wenn ich der Täter wäre, würde ich es anders machen«, warf Nicole ein. »Ich bin mir bewusst, dass die Berge intensiv abgesucht werden. Jetzt bin ich ganz schlau: Ich verstecke das Kind im Keller.«
    »Warum wollen Sie immer alle Leute in den Keller stecken,

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