Niedertracht. Alpenkrimi
sollten sie einmal hineinlassen«, sagte der ehemalige Ringer und derzeitige Gemeindehausmeister Mehl. »Den würde ich mir schon vornehmen. Nasenspreizer, Schrittklemme, Elefantenbussi – und ich wüsste schon bald, was ich wissen will.«
Die Gefängnistüre öffnete sich. Eine Vertreterin der Justizvollzugsanstalt erschien im Eingangsbereich. Sie hob die Hand und bat um Ruhe. Die Menge wurde still, man hoffte auf neue Informationen. Gleich kam er wahrscheinlich heraus, der verlorene Sohn, der Bastard, der so viel Schande über das Loisachtal gebracht hatte. Vielleicht war er ja unter der Last der Schuld zusammengebrochen und wurde, in Spuckhöhe, auf einer Bahre herausgetragen. Vielleicht hatte er ein Geständnis abgelegt und die Position der bedauernswerten Vierjährigen verraten. Vielleicht hatte er sich auch, ganz klassisch, in der Zelle erhängt.
»Ich weise Sie darauf hin«, sagte die Justizbeamtin, »dass der Untersuchungshäftling noch nicht rechtskräftig –«
Sie kam nicht weiter, sie wurde von der gereizten und johlenden Menge wieder ins Gebäude zurückgepfiffen. WIN - TER - HOL - LER ! WIN - TER - HOL - LER ! So skandierte die bunt zusammengewürfelte Rotte, die von allen Seiten des Ortes Zulauf bekommen hatte und auf mehrere hundert Menschen angeschwollen war. Ordnende Polizeikräfte fehlten natürlich, denn genau diese Kräfte waren hoch in der Luft unterwegs oder saßen im Polizeirevier und überlegten, welche abgelegenen Orte es noch gab, die geeignet waren, ein Opfer zu verstecken. Der aufgebrachte Mob wusste, dass das hiesige Gefängnis so klein war, dass man das Rufen von mehreren hundert Leuten drinnen hören musste. Man hoffte, den Falott so zu entnerven, dass er vielleicht seinen Widerstand aufgab und das Versteck preisgab. Johnny Winterholler hörte die aufgebrachte Menge draußen tatsächlich. Er stand im Inneren des Gefängnishofes. Ein Mann, ebenfalls ein Gefängnisinsasse, redete auf ihn ein. Niemand kümmerte sich momentan um die beiden. Das Gefängnispersonal war dabei zu überprüfen, ob alle Türen und Fenster einem gewaltsamen Ansturm gewachsen waren. Die Wärter füllten auch die Waffenmagazine und überprüften den Vorratskeller. Johnny Winterholler ließ sich von alledem nicht einschüchtern. Er hatte einen Plan.
»Johnny, ich weiß, dass du mich hörst!«, schrie Harrigl jetzt ins Megaphon. Die Kameras richteten sich auf ihn, das beflügelte den Tribun. »Wir kennen uns! Von früher, du weißt schon. Sei vernünftig und sag, wo das Maderl ist. Ich verspreche dir, dass ich mein ganzes politisches Gewicht für dich in die Waagschale lege!«
Die Menge rückte vor. Einige hatten sich mit den Zaunlatten der nahegelegenen Schreinerei bewaffnet. Nun war die Zeit für Harrigl gekommen, die Meute wieder zu beruhigen.
»Bürger der Gemeinde, seids vernünftig!«, rief er. »Verzichtet auf jede Form von Gewalt! Macht den Winterholler mit friedlichen Mitteln mürbe. Wir wollen der Gewalt nicht mit noch mehr Gewalt begegnen.«
Das Wort Gewalt war so oft gefallen, dass es einige dazu anspornte, weitere Latten aus dem Jägerzaun zu reißen.
Der Putzi öffnete das Verdeck seines Jeeps. So ein schöner, sonniger Tag, so was von Windstille, blauem Himmel und friedlichem Zwitschern der Vögel! Seit zwei Stunden hatte er schon keinen Hubschrauber mehr gehört und gesehen. Er konnte es riskieren, ganz offen und unverdeckt im Auto zu sitzen, ab und zu ein bisschen hinaufzulinsen und dann wieder den herrlichen Tag zu genießen. Das Kind schlief noch, er hoffte, dass es aufwachte, bevor es dunkel wurde. Ein bisschen schade fand es der Putzi schon, dass er seinen ganz großen Traum nicht verwirklichen konnte, eines der Opfer an die Nordseite des Kleinen Waxensteins zu bringen, ganz offen und eigentlich für jedermann sichtbar. Auf diese Weise hätte er die Wiedergeborenen quasi vom eigenen Balkon aus beobachten können. Von der Stelle aus, an dem er als Kind mit Mutter und Vater auch immer gesessen war. Da schau her, Vater, da ist einer! Wo du jetzt auch immer sein magst, Vater, da, nimm ein Fernglas, mit dem bloßen Auge wirst du ihn nicht erkennen. Hast du ihn jetzt im Visier? Ich glaube, das ist einer, der springen wird! – Der Putzi hatte dieses Plätzchen dann doch nicht genommen, es war ihm zu riskant gewesen. Ganz im Gegensatz zu dem Beobachtungsort, den er sich für den Schluss aufgehoben hatte. Der war gleichzeitig vollkommen abgelegen
und
vollkommen zentral. Er drehte
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