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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Schwester, die nur doof ist, auf den Berg gewandert. Auf einmal sind wir zu einer Wiese gekommen, auf der sonst die Kühe stehen und fressen. Diesmal waren aber keine Kühe da, sondern viele Menschen, aber auch Polizisten. Die Polizisten haben versucht, alle Menschen wieder wegzuscheuchen, aber sie haben es nicht geschafft, weil immer mehr gekommen sind und zu einem Berg raufgeguckt haben. Wir haben auch geschaut, aber nichts gesehen, weil wir das Fernglas vergessen haben. Papi und Mami haben gestritten, wer denn jetzt. Dann haben wir uns ein Fernglas ausgeliehen, und meine doofe Schwester hat zuerst schauen dürfen, wie immer. Sie hat kurz geschaut, dann hat sie aber gleich zum Schreien angefangen und ist heulend weggelaufen. Als wir sie endlich wieder eingefangen haben, ist sie ganz rot im Gesicht gewesen vor lauter nach Luft schnappen und Plärren. Ich habe nicht durchs Fernglas schauen dürfen, und bis jetzt weiß ich nicht, was da oben auf dem Berg los war. Die Kühe waren aber sicherlich sehr traurig, weil die vielen Menschen das ganze Gras zertrampelt haben. Das war mein schönstes Wochenenderlebnis.
    Tobi, 8 Jahre
    Der Fund des unbekannten Toten in der Zugspitzwand war gerade mal eine Woche her, da versetzte die Nachricht von einem weiteren Bergopfer die Bewohner des Kurorts schon wieder in helle Aufregung. Kommissar Jennerwein hatte genau das vermeiden wollen. Sein erster Impuls war es gewesen, die Information über eine weitere Leiche noch ein wenig zurückzuhalten. Dass daraus nichts wurde, lag am Tatort selbst, bei dem so etwas wie Diskretion kaum möglich war. Der Berg schweigt nicht, er redet wie ein Buch. Es konnte beim besten Willen nicht geheim gehalten werden, dass dort oben eine Leiche entdeckt worden war.
     
    Der Hubschrauber der Bergwacht war als erstes am Unglücksort gewesen, doch das Rettungsteam war zu spät gekommen. Die junge Frau mit den Zöpfen lag still und blass in einer Nische der Felswand, der Todeszeitpunkt konnte aber noch nicht lange verstrichen sein. Die Gerichtsmedizinerin, die ihren Urlaub in Wörgl unterbrochen hatte, war sich vollkommen sicher, dass die Todesursache wie beim ersten Opfer Kachexie, ein hochgradiger Kräfteverfall, ein düsterer Mix aus Erfrieren, Verhungern und Verdursten war.
    »Bei dieser Frau muss es allerdings schneller gegangen sein«, sagte Persephone. »Ich schätze, dass sie nach drei Tagen schon so schwach war, dass sie den darauffolgenden Tag nicht überlebt hat.«
    Die Nachricht von einem erneuten Leichenfund sprach sich in Windeseile herum, innerhalb einer halben Stunde wusste es der ganze Landkreis. Die Lokalpresse war schnell vor Ort, auch die überregionale – zur internationalen fehlte nicht mehr viel, ein dritter Toter vielleicht. Viele Schaulustige strömten mit Familie hinauf auf die Greininger-Wiese, um die Bemühungen von Bergwacht und Polizei am Felsen zu beobachten. Und vor allem zu kommentieren.
     
    »Siehst du den Sack, der da unten am Hubschrauber dranhängt?«
    »Da wird die Leiche drin sein. Ein sogenannter Body Bag. Unten schaut ein Fuß raus.«
    »Die sieht wahrscheinlich so furchtbar aus, dass man uns den Anblick nicht zumuten kann.«
    »Aber jetzt wird sie hochgezogen – Vorsicht! Fast wäre sie rausgerutscht!«
    »Ein paar hundert Meter tät die schon nach unten fallen.«
    »Ganz so schlimm wärs nicht. Tot ist sie ja schon.«
     
    Den gut zweihundert Zuschauern, die sich auf der Greininger-Wiese eingefunden hatten, wurde tatsächlich etwas Aufregendes geboten an diesem herrlichen Sonntagnachmittag. Gerade wurde der geheimnisvolle Sack ins Innere des Hubschraubers gezogen, der Pilot drehte daraufhin ab, so dass man nichts mehr sehen konnte. Oh! – ein Aufschrei der Enttäuschung ging durchs Publikum. Viele hielten das Gesehene mit der Digitalkamera fest oder gaben ihre Erlebnisse fernmündlich weiter. Der Pfarrer war da, einige Lehrer und Pensionisten, natürlich viele Wanderer und Bergsteiger, und mitten unter den braven Bürgern stand – der Putzi. Ja, auch er hatte sich mitten unter die Gaffer und Fotografierenden gemischt. Ins Auge des Orkans hatte er sich begeben, in den frisch geschlagenen Bombentrichter, ins zentrale Mittelfeld der Aufmerksamkeit. Seine nachvollziehbare Überlegung war die, dass es ja eher auffallen würde, wenn er sich
nicht
unter die Meute mischen würde, er, der ortsbekannte Wanderer und Naturfreund. Und so beobachtete auch der Putzi den Hubschrauber, der jetzt den dunklen Sack vollständig

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