Niedertracht. Alpenkrimi
Revier gekommen, frisch von seiner Wanderung, in schweren, klobigen Bergschuhen, die ihre Spuren auf dem blank geputzten Boden hinterließen. Er trug eines jener rotkarierten Hemden, die dieses Jahr wieder in Mode gekommen waren. Auch der Hut trenkerte ihm schräg auf dem Kopf, dass es eine Freude war.
»Ich weiß eben nicht mehr so genau, auf welchem Berg ich gewesen bin«, jammerte der Mann. »So ungefähr bloß. Wir sind, daran erinnere ich mich noch, vom Predigtstuhl auf die Wettersteinalm gegangen. Und dann waren wir irgendwann einmal auf der Bunsenkopfspitze.«
»Vom Predigtstuhl kommt man nicht auf die Wettersteinalm, jedenfalls nicht so schnell. Die beiden Berge liegen zehn Kilometer auseinander. Und eine Bunsenkopfspitze kenne ich gar nicht.«
»Dann verwechsle ich das jetzt mit unserem Südtirolurlaub. Vielleicht wars auch die Brennkopfspitze. Ich kann mir einfach keine Namen merken.«
»Eine Brennkopfspitze gibt es hier auch nicht. Jetzt machen wir es einmal so, Herr Heinlein: Sie sagen mir, von wo Sie losgegangen sind.«
»Also, wir, ich und meine Frau, wir sind beide aus Nürnberg, aus Nürnberg-Gostenhof, das ist die Bronx von Nürnberg, und wir fahren jedes Jahr –«
»Jetzt fangen Sie doch nicht bei Adam und Eva an!«
»Sonst glauben Sie mir ja meine Geschichte nicht, Herr Inspektor!«
»Polizeiobermeister.«
»Gestern sitzen wir also in der Wirtschaft, meine Frau und ich, und da hören wir am Nebentisch fränkische Laute. Allmächt! Gostenhofer Slang! Wir haben uns jedenfalls mit dem Dieter und der Tamara angefreundet. Und irgendwann sagt der Dieter: Geht ihr morgen mit auf den
hmhmhm
? Den Namen weiß ich eben nicht mehr, und wir sagen ja, oh!,
hmhmhm
, das klingt gut. Gesagt, getan, um fünf in der Früh holen die uns ab mit ihrem Bbiggabb –«
»Pick-up?«
»Ja, genau. Sie fahren mit uns quer durch den Ort, dann einen Berg rauf. Keine Ahnung, wo wir da hingefahren sind. Es ist jedenfalls bergauf gegangen, ein ziemliches Stück. Dann haben wir den Bbiggabb stehen lassen und sind zu Fuß weitergewandert.«
»Keine Ahnung, wohin?«
»Leider keine Ahnung. Aber warten Sie. Jetzt dämmert mir was: Die Jekkelbergeralm kanns gewesen sein.«
»Das Jakelbergeralpel meinen Sie?«
»Ja, das kann sein.«
»Weiter, Herr Heinlein. Irgendwo da draußen hängt – vielleicht! – ein Bergopfer in der Wand, und ich brauche genaue Angaben. Wie ging die Wanderung weiter?«
»Also, wir kommen zu einer Almhütte. Die war unbewirtschaftet. Es war eher ein Stadel. Keine Aufschrift, nichts.«
»Ganz toll.«
»Dann kommt eine kilometerlange Steigung, wir haben uns angeregt unterhalten, auf die Landschaft hab ich jedenfalls nicht geachtet. Dann ein steiler Waldweg mit Serpentinen. Dann eine bewirtschaftete Alm.«
»Aha, jetzt aber!«
»Eine mit einer Terrasse. Sagen wir, so dreißig Plätze.«
»Hat man von der Terrasse aus Berge gesehen?«
»Ja freilich, aber ich weiß ja nicht, welche! Ich habe auch gar nicht hingeschaut, weil – ich habe ehrlich gesagt so was von einem Sau-Durst gehabt. Die Bedienung hat mir ein Glas Leitungswasser gebracht, und dafür hat sie auch noch Geld verlangt –«
»Das ist auf jeder Alm so. Aber die Bedienungen, die sind doch verschieden! Himmelherrschaft! Was war das für eine Bedienung? Groß, klein, mittel?«
»Eine mit einer Hakennase war es, so eine große, muskulöse. Eine feste, blonde, große, mit einer Hakennase. Einem Riesen-Zinken.«
»Das ist die Mühlriedl Resel. Vom Mühlriedl Rudi die Schwester. Die hat früher auf der Kochelbergalm gearbeitet. Und jetzt – arbeitet sie – auf der Esterbergalm. Jetzt haben wirs. Also, Sie waren auf der Esterbergalm.«
»Kann sein.«
»Und wo haben Sie das eventuelle Bergopfer dann gesehen?«
»Da noch nicht. Erst sind wir hinuntergegangen.«
»Richtung Häuslboden oder Richtung Daxkapelle?«
»Es ist durch den Wald gegangen.«
»Also Daxkapelle.«
»Und dann haben wir gestritten. Worum es gegangen ist, weiß ich gar nicht mehr –«
»Weiter! Menschenskinder!«
»Dann sind der Dieter und die Tamara in eine andere Richtung gegangen. Du immer mit deiner Streiterei, hat meine Frau gesagt, und dann hab ich mich mit meiner Frau auch gestritten. Wir haben uns ebenfalls getrennt, ich bin einfach querfeldein gelaufen, so zornig war ich. Irgendwo werde ich schon rauskommen unten, habe ich mir gedacht. Aber dann hab ich mich verlaufen. Ich bin stundenlang umhergeirrt, hab mit dem Fernglas die Berge
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