Niedertracht. Alpenkrimi
igne inferni«
, murmelte er und lächelte dazu, als tauchte eine Erinnerung aus ferner Vergangenheit auf.
»Wie bitte? Libera was –?«
»
Libera nos ab igne inferni
, so lautet das passende Gebet dazu. Meine Großmutter hat mir die Zeilen gelernt. Das ist zwar lange her, aber so etwas vergisst man dann nie.«
Hölleisen und Nicole warfen sich einen Blick zu. Auf welchem Trip war der Chef denn jetzt? Dann blickten sie in das Kästchen. Eine kleine glitzernde Schlange schien zusammengerollt da drinnen zu schlafen. Eitelkeit, Missgunst, Völlerei …
»Ein Rosenkranz! Das hätte ich jetzt am allerwenigsten erwartet.«
»Ob es der Rosenkranz der Frau ist?«
»Das glaube ich nicht«, sagte Jennerwein. »Es ist ein Rosenkranz für Männer.«
»Geschlechtertrennung bei Rosenkränzen?«, fragte Nicole.
»Ja, früher gabs die jedenfalls mal, wenigstens in den ländlichen Gebieten Oberbayerns. Feingliedrige, weich durch die Finger gleitende Rosenkränze für Frauen. Und etwas größere, geriffelte für die hornhäutigen Männerpratzen.«
»Und Sie denken, dass die Fingerabdrücke des Täters drauf sind?«
Jennerwein wies mit der Pinzette auf eine einzelne Kugel der Gebetskette.
»Vielleicht nicht gerade die Fingerabdrücke. Aber etwas anderes. Sehen Sie da die Riffelung? Da bleiben Hautfetzen hängen.«
»Na klasse – dann könnten wir doch eine DNA -Analyse machen! Und dann auch gleich Speicheltests bei den Einwohnern«, sprudelte es aus Nicole heraus.
Jennerwein packte den Rosenkranz in ein Tütchen.
»Soweit sind wir noch nicht. Wir sollten Becker erst alles genau untersuchen lassen.«
»Und was heißt jetzt Libera dingsbums?«, fragte Nicole.
»Libera nos ab igne inferni –«, verbesserte Jennerwein. »Ich muss zugeben: Ich weiß es nicht. Jedenfalls nicht mehr so genau. Irgendetwas mit
Unsere Kinder
vielleicht.«
Sie packten zusammen und stiegen mit ihrer Beute über die Greininger-Wiese hinunter ins Tal.
23
»… eine Form wortlosen Frohlockens, Schreiens oder Singens, … das wortlose Ausströmen einer Freude, die so groß ist, dass sie alle Worte zerbricht.«
Augustinus von Hippo über den ›Jubilus‹, einen Vorläufer des Jodlers
Er befand sich im Halbschlaf, ein paar unfertige Traumgebilde umschwirrten ihn noch, schemenhafte Figuren entfernten sich grußlos und unwiederbringlich, die Haupthandlung des Traums löste sich langsam auf, als er etwas Spitzes, Stechendes unter seinem Po spürte. Er wälzte sich auf die andere Seite. Er hatte das Bedürfnis, noch ein paar Minuten zu dösen. Doch wieder pikste ihn etwas. Welcher lästige Gegenstand lag da in seinem Bett? Seine Brille? Sein Buch? Sein Brillenetui? Er hatte gestern beim Einschlafen kein Buch gelesen. Und die Brille legte er stets auf dem Nachtkästchen ab. Er wälzte sich abermals auf die andere Seite, der scharfkantige Gegenstand war immer noch zu spüren. Schlaftrunken und genervt hob er den Hintern hoch und griff unter seine Hüfte, um das lästige Ding zu entfernen. Er fingerte ungeschickt herum, bis er es endlich zu fassen bekam. Zu seiner Überraschung war es ein faustgroßer Stein. Wie kam ein Stein in sein Bett? Er schob ihn mit der Hand weg und versuchte weiterzudösen. Doch er fand nicht mehr zu den Traumgebilden von vorhin zurück. Sie alle hatten sich vollständig verflüchtigt, ihn beschäftigte momentan nur eine einzige Frage: Warum lag er auf einem Stein? Er hielt die Augen immer noch geschlossen. Es fühlte sich auch nicht so an, als ob er in einem Bett läge. So hart war kein Bett. Er lag auf dem Boden. War er herausgefallen? Unmöglich. Jetzt erst öffnete er die Augen. Er lag auf dem Boden eines ihm unbekannten Raums. Das war auch gar kein Raum, er lag im Freien, in einer Art Höhle, soweit er dies mit seinen schlaftrunkenen Augen überhaupt erkennen konnte. Sein linker Arm schmerzte, er versuchte ihn zu bewegen. Er spürte scharfen Widerstand am Handgelenk. Und jetzt erst bemerkte er, dass er an der einen Hand angekettet war. Ein dünnes, graues Seil, mehr eine Haushaltsschnur, führte nach oben zur schummrigen Decke der Höhle und endete an einem Haken. Er blickte wieder an sich hinunter. Das war nicht seine Hose. Das war überhaupt nicht seine Kleidung, das waren nasskalte, fremde, nach Erde riechende, ekelige Klamotten, die er nie getragen hätte. Er richtete sich ruckartig auf und stieß mit dem Kopf an die feuchte Wand. Er drehte sich um, die Schnur zerrte an seinem Handgelenk. Verwirrt saß er eine
Weitere Kostenlose Bücher