Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Gegenständen aus dem Alltag vernachlässigt werden kann, passiert auf der Bühne des atomaren Geschehens etwas anderes. Mit dem Quantum verändert sich der Zustand des anvisierten Objekts, wobei der untersuchte Gegenstand im Moment der Messung – durch das dazugehörige Quantum – überhaupt erst in den Zustand gebracht wird, in dem er angetroffen wird. Es ist plötzlich das Subjekt, das offenkundig zusammen mit den Naturgesetzen bestimmt, wie sich das Objekt zeigt.
Damit gerät das Konzept der objektiven Kausalität aus den Fugen, und Bohr versuchte, es durch seinen Gedanken der Komplementarität abzulösen, mit dem der klassischen Vorstellung Grenzen gesetzt werden und die Annahme wegfällt, der zufolge Phänomene unabhängig von den Beobachtungsmitteln existieren und ihre Eigenschaften bekommen.
In einem Atom geht es eben anders zu als in einer Welt, die von Atomen gebildet wird. Atome müssen qualitativ vollkommen verschieden von den Dingen sein, die aus ihnen bestehen. So lässt sich etwa die Temperatur eines Atoms nicht bestimmen; und es ist ausgeschlossen,
in einem Atom ein elektrisches Feld zu messen. Man kann erst recht nicht sagen, was Zeit in ihm sein soll, da – in der Vorstellung und mit der Vorgabe von Einstein – Zeit das ist, was eine Uhr anzeigt. Nun gibt es zwar verschiedene Uhren, sie alle bestehen aber aus Atomen, was es offensichtlich und prinzipiell unmöglich macht, mit ihnen in einem solchen Gebilde etwas zu unternehmen.
Natürlich wollte Bohr das »Kausalitätsideal« nicht aufgeben, wie ihm von Philosophen entgegengehalten wurde, die den Verdacht äußerten, er vertrete »einen dem Geist der Wissenschaft zuwiderlaufenden Mystizismus«. Bohr wollte vielmehr besagtes Ideal durch den »allgemeineren Gesichtspunkt« ersetzen, den er Komplementarität nannte. Seinen überzeugendsten Versuch dazu unternahm er in einem Vortrag, der 1936 gehalten und 1937 publiziert wurde. Bohr sprach auf einem in Kopenhagen stattfindenden »Kongress für die Einheit der Wissenschaft« eben über »Kausalität und Komplementarität«, und die zentralen Passagen sollen hier ausführlich zitiert werden. Bohr begann seine Rede mit dem Versuch, »einen möglichst klaren Eindruck von der in der Atomphysik vorliegenden neuen erkenntnistheoretischen Situation zu geben«:
Um dies zu tun, wollen wir hier zunächst solche Messvorgänge etwas näher betrachten, die eine Kontrolle des raumzeitlichen Verhaltens irgendeines physikalischen Ereignisses zum Ziel haben. Letzten Endes besteht ja eine solche Kontrolle immer in der Herstellung einer Anzahl eindeutiger Verbindungen zwischen dem Verhalten des Objektes und den Maßstäben und Uhren, die das für die Raumzeitkoordination benutzte Bezugssystem definieren. Nur solange wir bei der Beschreibung aller für das Ereignis maßgeblichen Umstände die mit der Herstellung jeder solchen Verbindung unvermeidlich verknüpfte Wechselwirkung zwischen dem Objekt und diesen Messinstrumenten völlig außer Acht lassen können, sind wir also in der Lage, von einem selbstständigen, von den Beobachtungsbedingungen unabhängigen raumzeitlichen Verhalten des Versuchsobjektes zu sprechen. Falls aber diese Wechselwirkung – wie im Gebiet der
Quantenerscheinungen – für das Zustandekommen der Phänomene selbst eine wesentliche Rolle spielt, ändert sich die Situation völlig, und wir müssen insbesondere auf die für die klassische physikalische Beschreibung charakteristische Verbindung zwischen der Raumzeitkoordination der Ereignisse und den allgemeinen dynamischen Erhaltungssätzen verzichten. Denn die Benutzung der Maßstäbe und Uhren zur Festlegung des Bezugssystems schließt ja definitionsgemäß aus, dass irgendwelchen im Verlauf der Phänomene an diese Messinstrumente übertragenen Impuls- und Energiemengen Rechnung getragen werden kann. Umgekehrt können solche Quantengesetze, deren Formulierung wesentlich auf einer Anwendung des Impuls-oder Energiebegriffs beruht, nur unter Versuchsumständen zum Vorschein kommen, unter welchen eine strenge Kontrolle des raumzeitlichen Verhaltens des Objektes ausgeschlossen ist.
In der seit 1926/27 neuen Quantenmechanik sei nun eine dieser Situation angepasste Beschreibungsart gefunden worden, wie Bohr weiter ausführte, da in ihr »eine zur widersprüchlichen Einordnung der neuen Gesetzmäßigkeiten genügende Freiheit dadurch gewonnen wird, dass die gewöhnlichen kinematischen und dynamischen Begriffe durch Symbole ersetzt werden, die
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