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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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Psychologe C. G. Jung hat dies 1953 einmal so formuliert: »Es scheint mir unerlässlich, komplementär zu denken: Zu Stoff gehört Nichtstoff, zu
oben unten, zu Kontinuität Diskontinuität etc. Das Eine ist die Bedingung des Anderen.«
    Das Zitat findet sich in einem Brief an Pauli, der in seiner Antwort einen entscheidenden Schritt weitergeht, wenn er zunächst schreibt: »An die Stelle der alten Idee der polaren Gegensätze, wie z. B. des chinesischen Yin und Yang, tritt daher beim Modernen die Idee der komplementären Aspekte der Phänomene.« Dann kommt er zu dem Schluss, dass es »eine der wichtigsten Aufgaben des abendländischen Geistes« bleibt, »die alte Idee in die neue Form zu übersetzen«.
    1954 fasste Pauli Bohrs Gedanken in einem Vortrag über »Die Wissenschaft und das abendländische Denken« mit den Worten zusammen:
    Ich glaube, dass es das Schicksal des Abendlandes ist, diese beiden Grundlagen, die kritisch rationale, verstehen wollende auf der einen und die mystisch irrationale, das erlösende Einheitserlebnis suchende auf der anderen Seite, immer wieder in Verbindung miteinander zu bringen. In der Seele des Menschen werden immer beide Haltungen wohnen und die eine wird stets die andere als Keim ihres Gegenteils in sich tragen. Dadurch entsteht eine Art dialektischer Prozess, von dem wir nicht wissen, wohin er uns führt. Ich glaube, als Abendländer müssen wir uns diesem Prozess anvertrauen und das Gegensatzpaar als komplementär anerkennen.
    Leider haben die Philosophie-Institute bislang noch nicht verstanden, was Bohr und Pauli zum Ausdruck bringen wollten, von einer Umsetzung der Idee kann überhaupt keine Rede sein. Was in Paulis Sätzen anklingt, zeigt erst dann seine volle Tragweite, wenn man jenen Ausdruck ins Spiel bringt, den Pauli vermeidet, obwohl er die Gefilde westlicher Rationalität längst erobert hat. Gemeint sind die Vernunft und die Hoffnung unserer Kultur, dass sie es ist, die die Verirrungen oder Auswüchse des Verstands unter Kontrolle hält und seiner Aktivität die richtige Orientierung gibt. Was die
Wissenschaftstheoretiker und ihre philosophischen Begleiter an der Gegenwart beklagen, ist die Unfähigkeit der Vernunft, das Verfügungswissen, das der wissenschaftliche Fachverstand liefert, geeigneter zur Orientierung einzusetzen, um die Lebensbedingungen und vieles mehr zu verbessern.
    Wir glauben spätestens seit Immanuel Kant und der Aufklärung an die Vernunft, obwohl sich beim Blick auf die historischen Entwicklungen der Verdacht einschleichen könnte, dass wir hier etwas falsch machen und einem Irrtum unterliegen. Schließlich hat alle Vernunft kein Ende der Zerstörungen erreicht, die mit wissenschaftlichen Mitteln zustande kommen.
    Pauli behauptete nun, dass die Kultur im Westen tatsächlich auf das falsche Pferd setzt. Wenn überhaupt, dann kann sie nur der Rückgriff auf eine Fähigkeit retten, die komplementär zu der Funktion ist, der wir jahrhundertelang den größten Raum zugebilligt haben, komplementär also zum Verstand und seinem Denken. Wenn die Idee der Komplementarität mehr als nur eine nette erkenntnistheoretische Variante der Physik ist, sondern eine zentrale Funktion der Welt darstellt, dann nützt es nichts, an die Vernunft zu appellieren, um die vom Verstand freigesetzten Kräfte zu kanalisieren. Es kommt vielmehr darauf an, endlich die Gefühle zu mobilisieren, die den Dingen Wert beimessen und uns auf diese Weise die Orientierung geben, die wir alle vermissen.
    Die Vernunft stellte für ihn mehr das komplementäre Gegenstück zum Instinkt dar. Pauli kritisierte die Beschwörungen der Vernunft und die sprachliche Fixierung seiner Zeit zugunsten einer Hälfte eines Gegensatzpaars, und er deutete diese Festlegung als sicheres Symptom dafür, »dass die menschliche Ganzheit psychologisch nicht erreicht oder sogar blockiert ist«. Er gebe aber seine Hoffnung nicht auf, dass sich die Komplementarität durchsetze und sich auch im Wissenschaftsbetrieb auswirke, wie er in den 1950er Jahren im Rahmen der Atomdebatte an Jung schrieb: »In dieser schwankenden Notlage, wo alles zerstört werden kann – der Einzelne durch Psychose, die Kultur durch Atomkriege –, wächst das Rettende auch, die Pole der Gegensatzpaare rücken wieder
zusammen... Die zukünftige Entwicklung muss... eine solche Erweiterung der Physik, vielleicht zusammen mit der Biologie, mit sich bringen, dass die Psychologie des Unbewussten in ihr aufgenommen werden kann. Dagegen ist diese

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