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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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ignorieren und ihre Erkenntnisgegenstände untereinander teilen. Das Auffälligste ist jedoch ihre Komplementarität.«
    Mit anderen Worten: Die Gesamtsumme von komplementären Regungen eines humanen Bewusstseins ergibt die von dem betreffenden Menschen wahrgenommene Welt.
    Der Vorschlag der Komplementarität passt sich der Situation eines menschlichen Beobachters an, der etwa bei einem Elektron oder Photon entscheiden muss, ob er dessen Wellenlänge oder dessen Ort bestimmen will. Die beiden dazu notwendigen experimentellen Bedingungen schließen sich gegenseitig aus, sie können also nicht gleichzeitig und an einem Objekt durchgeführt werden, sie gehören aber zusammen, da sie einen und nur einen Gegenstand anvisieren. Mit anderen Worten, die physikalische Realität muss durch komplementäre Bilder beschrieben werden, von denen jedes seinen eigenen Geltungsbereich hat und die beide zusammen das ganze Phänomen zugänglich machen.
    Als Bohr vom Skilaufen zurück war und seine erregten Debatten über die Deutung der Quantentheorie mit Heisenberg abgeschlossen hatte, erhielt er die Einladung, zum Gedenken an den italienischen Physiker Alessandro Volta anlässlich dessen hundertsten
Todestags im September 1927 einen Festvortrag in Como zu halten. Bohr war fest entschlossen, bei dieser Gelegenheit seine neue Philosophie vorzustellen, und entsprechend mühte er sich den ganzen Sommer über mit dem Manuskript ab, das dann 1928 unter dem Titel »Das Quantenpostulat und die neuere Entwicklung der Atomistik« publiziert wurde.
    Leider war die Druckfassung der Rede in Como genauso umständlich formuliert und nicht unbedingt förderlich für das Verständnis wie viele andere Reden Bohrs. An einer Stelle entschuldigte er sich sogar für seine sich windenden Sätze. Alles, was er sagen wolle, müsse man nicht affirmativ, sondern als Frage verstehen, die es erst noch zu bedenken gelte, wie er seinen Zuhörern mitteilte, ohne dass ihnen die Aufgabe dadurch leichter gemacht worden wäre. So missglückte ihm bereits der erste Satz, mit dem er seinen neuen Begriff der Komplementarität vorstellen wollte. Das entscheidende Wort tauchte unvermittelt auf, und Bohr ließ nur schwerlich erkennen, welche Bedeutung es für ihn hatte. Der Begriff »Komplementarität« wurde weder definiert noch als wichtig hervorgehoben, sondern einfach benutzt: »Nach dem Wesen der Quantentheorie müssen wir uns also damit begnügen, die Raum-Zeit-Darstellung und die Forderung der Kausalität, deren Vereinigung für die klassischen Theorien kennzeichnend ist, als komplementäre, aber einander ausschließende Züge der Beschreibung des Inhalts der Erfahrung aufzufassen, die die Idealisation der Beobachtungs- bzw. Definitionsmöglichkeiten symbolisieren.«
    Kein Wunder, dass die Zuhörer überfordert waren und nicht merken konnten, dass hier etwas Grundlegendes über die Erkennbarkeit von Wirklichkeit gesagt wurde. Versucht man das, was Bohr ausdrücken wollte, in einfachere Worte zu fassen, ergibt sich in etwa folgende Aussage: Was in einem Experiment geschieht, wird von menschlichen Beobachtern hergestellt und registriert. Also muss es davon eine Beschreibung geben, die Raum und Zeit benutzt und in ihnen spielt. In einem jeden Experiment zeigt sich auch die gewohnte Bedingung der Kausalität. Wie sollten wir sonst aus dem Ergebnis einer Messung auf den Zustand des untersuchten Objekts
schließen? Im Rahmen der klassischen Physik sind beide Bedingungen miteinander vereinbar; in der Quantentheorie hingegen finden die Vorgabe der Kausalität und die Beschreibung der Abläufe in Raum und Zeit nur als komplementäre Partner zueinander. Dies zeigen – Bohr zufolge – die Erfahrungen, die mit den Experimenten an atomaren Bausteinen unternommen worden sind.
    »Kausalität und Komplementarität« – um diese beiden Konzepte kreisten Bohrs Gedanken. Er wollte durch sie auch darauf hinweisen, dass die Existenz des Quantums die Physiker zwingt, Abschied von der Vorstellung zu nehmen, für die Vorgänge im Atom oder für das Verhalten von Gebilden atomarer Größenordnung lasse sich »eine Kausalbeschreibung im klassischen Sinn« angeben. Wer etwa ein Lichtteilchen (Photon) oder ein Materieteilchen (Elektron) in einem Experiment beobachten will, muss in irgendeiner Form mit ihm eine Wechselwirkung eingehen. Dabei muss zwischen dem Instrument und dem Objekt mindestens ein Quantum übertragen oder ausgetauscht werden. Während die dadurch ausgelöste Wirkung bei

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