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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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fortsetzen.«
    Und obwohl der Junge höchst unbequem zwischen den Fängen des Adlers hing, schlief er wirklich ein und im Schlaf hatte er einen
     Traum.
    Es war ihm, als sei er auf einer breiten Landstraße unten in dem südlichen Schweden und als laufe er so schnell, wie seine
     kleinen Beine ihn tragen konnten. Er war nicht allein, sondern eine Menge anderer zogen desselben Weges. Dicht neben ihm kamen
     die Roggenhalme mit schweren Ähren an der Spitze und mit Kornblumen vermischt dahermarschiert, die Apfelbäume keuchten schwer
     von Früchten und ihnen folgten Bohnen und Erbsen voller Schoten, große Büsche Margeriten und ein ganzes Gehege von Obststräuchern.
     Große Laubbäume, Eichen und Eschen und Linden, gingen in Ruhe und Gemächlichkeit mitten auf der Landstraße, stolz rauschten
     sie mit ihren Kronen und gingen niemand aus dem Wege. Zwischen seinen Beinen kamen die kleinen Pflanzen gelaufen:Erdbeeren, Anemonen, Löwenzahn, Klee und Vergißmeinnicht. Zuerst meinte er, daß es nur Pflanzen waren, die so des Weges dahinzogen,
     bald aber entdeckte er, daß sowohl Menschen als auch Tiere mit dabei waren. Die Insekten umsummten die dahineilenden Pflanzen,
     in den Gräben schwammen Fische, die Vögel saßen in den dahinwandernden Bäumen und sangen, zahme und wilde Tiere liefen um
     die Wette, und mitten zwischen all diesem Gewimmel gingen Menschen mit Spaten und Sensen, andere mit Äxten, wieder andere
     mit Flinten und einige mit Angelruten.
    Der Zug bewegte sich munter und fröhlich, und das verwunderte ihn gar nicht, als er sah, wer ihn anführte. Es war niemand
     Geringeres als die Sonne selbst. Sie kam die Straße dahergerollt wie ein großer, schimmernder Kopf mit Haar aus vielfarbigen
     Strahlen und einem Gesicht, das vor Frohsinn und Güte strahlte. »Vorwärts!« rief sie ununterbrochen. »Niemand braucht bange
     zu sein, wenn ich dabei bin! Vorwärts! Vorwärts!«
    »Ich möchte wohl wissen, wohin uns die Sonne führen will,« sagte der Junge vor sich hin. Aber der Roggenhalm, der neben ihm
     ging, hatte gehört, was er sagte, und antwortete sogleich: »Sie will uns nach Lappland führen, um gegen den großen Versteinerer
     zu kämpfen.«
    Niels Holgersen sah bald, daß mehrere von den Fußgängern bedenklich wurden, ihre Schritte mäßigten und schließlich zurückblieben.
     Er sah, daß die große Buche stehen blieb, das Reh und der Weizen blieben am Grabenrand stehen und ebenso die Brombeerbüsche,
     die großen gelbenSumpfdotterblumen, die Kastanienbäume und die Rebhühner.
    Er sah sich um, denn er wollte ergründen, warum so viele zurückblieben. Da gewahrte er, daß er sich nicht mehr in dem südlichen
     Schweden befand; die Wanderung war so schnell vor sich gegangen, daß sie schon in Svealand angelangt waren.
    Hier oben begann die Eiche zurückzubleiben. Sie blieb ein wenig stehen, machte einige zögernde Schritte und stand dann ganz
     still. »Warum kommt die Eiche nicht mehr mit?« fragte der Junge. »Sie ist bange vor dem großen Versteinerer,« sagte eine hellgrüne
     junge Birke, die so keck und fröhlich dahinschritt, daß es eine Lust zu sehen war.
    Aber obwohl viele zurückgeblieben waren, setzte doch noch eine große Schar frischen Mutes die Wanderung fort. Und der Sonnenkopf
     rollte die ganze Zeit vor dem Zuge her und rief: »Vorwärts! Vorwärts! Niemand braucht bange zu sein, solange ich dabei bin!«
    Der Zug ging mit derselben Geschwindigkeit weiter. Bald war er oben in Norrland angelangt, aber jetzt half es nichts mehr,
     wieviel auch die Sonne bat und ermunterte. Der Apfelbaum wollte nicht weiter, auch der Kirschbaum nicht und der Hafer blieb
     stehen. Die Fisch schwärme in den Gräben lichteten sich. Der Junge wandte sich an die Zurückbleibenden: »Warum wollt ihr nicht
     mit? Warum laßt ihr die Sonne im Stich?« fragte er. – »Wir wagen es nicht. Wir sind bange vor dem großen Versteinerer, der
     da oben in Lappland wohnt,« antworteten sie.
    Bald hatte der Junge die Empfindung, als seien sie ganz hoch oben in Lappland angelangt, und hier wurden die wandernden Scharen
     beständig dünner. Der Roggen, die Gerste, die Erdbeere, die Blaubeere, die Erbsen, die Johannisbeerbüsche waren bis hierher
     mitgekommen. Das Elentier und die Kuh waren Seite an Seite gewandert, aber jetzt blieben sie alle zurück. Die Menschen gingen
     noch eine Strecke weiter mit, aber dann blieben auch sie stehen. Die Sonne würde fast ganz allein geblieben sein, wenn nicht
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