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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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habe es auf die harte Tour herausgefunden. Sagen Sie ihm, wer hinter all dem steckt.«
    »Islington«, sagte sie.
    Richard schüttelte den Kopf, als wolle er eine Fliege verscheuchen. »Das kann nicht sein«, sagte er. »Ich habe doch Islington selbst kennengelernt. Er ist ein Engel.« Und dann fragte er beinahe verzweifelt: »Warum?«
    Der Marquis hatte Hunter nicht aus den Augen gelassen, und auch die Armbrustspitze war weiterhin unbeweglich auf sie gerichtet. »Ich wünschte, ich wüßte es. Aber Islington befindet sich am Fuße der Down Street, und am Fuße dieser Schweinerei. Und zwischen uns und Islington befinden sich das Labyrinth und das Ungeheuer. Richard, nehmen Sie den Speer. Hunter, Sie gehen vor mir her, bitte.«
    Richard hob den Speer auf, und dann zog er sich schwerfällig daran hoch, bis er stand. »Sie wollen, daß sie mit uns kommt?« fragte er verblüfft.
    »Hätten Sie sie lieber hinter uns?« entgegnete der Marquis trocken.
    Richard schüttelte den Kopf.
    Und sie gingen hinab.

Kapitel Sechzehn
     
    Stundenlang gingen sie schweigend die gewundene Steinstraße hinab. Richard hatte immer noch Schmerzen, er humpelte, und in ihm rumorte es seltsam, geistig wie körperlich: Das Gefühl, geschlagen und verraten worden zu sein, quälte ihn, hinzu kam noch die Tatsache, daß er beinahe sein Leben an Lamia verloren hätte, die Nachwirkungen von dem, was Mr. Vandemar ihm zugefügt und was er oben auf der Planke erlebt hatte, so daß er sich alles in allem furchtbar zerschlagen fühlte. Doch was es noch schlimmer machte: Er war sich ziemlich sicher, daß all seine Erlebnisse des letzten Tages verglichen mit dem, was der Marquis durchgemacht haben mochte, zu etwas ziemlich Kleinem und Unbedeutendem verblaßten. Daher sagte er nichts.
    Der Marquis war still; denn jedes Wort, das er hervorbrachte, verursachte ihm Halsschmerzen. Er begnügte sich damit, seine Kehle heilen zu lassen und sich auf Hunter zu konzentrieren. Wenn er seine Aufmerksamkeit nur einen Augenblick erlahmen ließe, das wußte er, würde sie es sofort merken, und dann wäre sie auf und davon, oder sie würde sich ihnen entgegenstellen. Daher sagte er nichts.
    Hunter ging ein kleines Stück voraus. Auch sie sagte nichts. Dann erreichten sie das untere Ende der Down Street. Die Straße endete in einem monumentalen Torbogen – aus gigantischen grob behauenen Steinblöcken.
    Dieses Tor haben Riesen gebaut, dachte Richard, obwohl er nicht hätte sagen können, woher er das wußte.
    Das Tor selbst war schon lange verrostet und zerfallen. Seine Überreste lagen zu ihren Füßen im Schlamm und hingen nutzlos an einem verrosteten Scharnier an der Seite des Torbogens. Das Scharnier war größer als Richard.
    Der Marquis bedeutete Hunter, stehenzubleiben. Er befeuchtete seine Lippen und sagte: »Dieses Tor markiert das Ende der Down Street und den Beginn des Labyrinths. Und jenseits des Labyrinths wartet der Engel Islington. Und im Labyrinth befindet sich das Ungeheuer. «
    »Ich versteh’ das immer noch nicht«, sagte Richard. »Islington. Ich habe ihn doch kennengelernt. Es. Ihn. Er ist ein Engel. Ich meine … ein richtiger Engel.«
    Der Marquis lächelte humorlos. »Wenn Engel bösartig werden, Richard, dann werden sie schlimmer als jeder sonst. Sie wissen doch, auch Luzifer war einst ein Engel.«
    Hunter starrte Richard mit nußbraunen Augen an. »Der Ort, an dem Sie waren, ist Islingtons Zitadelle und sein Gefängnis. Er kann ihn nicht verlassen.«
    Der Marquis sah sie an. »Ich schätze, das Labyrinth und das Ungeheuer dienen dazu, Besucher abzuschrecken.«
    Sie neigte den Kopf. »Das ist anzunehmen.«
    Plötzlich brüllte Richard den Marquis an, und all seine Wut und Ohnmacht und Enttäuschung machte sich in einer zornigen Explosion Luft: »Wieso reden Sie überhaupt mit ihr? Wieso ist sie noch bei uns? Sie hat uns die ganze Zeit betrogen. Sie ist eine Verräterin – sie wollte uns glauben machen, Sie seien der Verräter!«
    »Und ich habe Ihnen das Leben gerettet, Richard Mayhew«, sagte Hunter leise. »Viele Male. Auf der Brücke. Vor dem Wesen an der U-Bahn-Haltestelle. Auf dem Brett dort oben.«
    Sie sah ihm in die Augen, und es war Richard, der den Blick abwandte.
    Etwas hallte durch die Tunnel: ein Bellen oder ein Brüllen. Die Haare auf Richards Nacken stellten sich auf. Es war weit entfernt, aber das war auch das einzige daran, was ihn ein wenig beruhigte. Er kannte dieses Geräusch. Er hatte es in seinen Träumen gehört. Es klang

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