Niemalsland
Mister Croup.«
»Sie muß viel Blut verlieren, Mister V.«
»Schönes Blut, Mister C. Schönes nasses Blut.«
»Aber nicht mehr lange.«
Ein Klicken: das Geräusch eines sich öffnenden Schnappmessers, leer und einsam und dunkel.
»Richard? Was tust du da?« fragte Jessica.
»Nichts, Jessica.«
»Du hast doch nicht schon wieder deinen Schlüssel vergessen, oder?«
»Nein, Jessica.«
Richard hörte auf, sich abzuklopfen, und steckte die Hände tief in seine Manteltaschen.
»Also, wenn du heute abend Mister Stockton kennenlernst«, sagte Jessica, »mußt du dir darüber im klaren sein, daß er nicht nur ein sehr bedeutender Mann ist. Er ist auch eine Art eigenes Wirtschaftsunternehmen.«
»Ich kann’s kaum erwarten«, seufzte Richard.
»Wie bitte?«
»Ich kann’s kaum erwarten«, sagte Richard enthusiastisch.
»Kannst du denn nicht schneller gehen?« fragte Jessica, die begann, eine Aura zu verströmen, die man bei einer einfacheren Frau beinahe als Nervosität hätte bezeichnen können. »Wir dürfen Mister Stockton nicht warten lassen.«
»Nein, Jess.«
»Nenn mich nicht so, Richard. Ich hasse Kosenamen. Sie sind so erniedrigend.«
»Haben Sie etwas Kleingeld übrig?« Der Mann saß auf einer Türschwelle, mit einem handgeschriebenen Schild auf der Brust, das der Welt mitteilte, er sei obdachlos und hungrig. Dafür bedurfte es keines Schildes, das sah man auch so, und schon hatte Richard die Hand in der Tasche und tastete nach einer Münze.
»Richard. Dafür haben wir keine Zeit«, sagte Jessica, die für Wohlfahrtsorganisationen spendete und ihr Geld ethisch korrekt anlegte. »Also, ich will, daß du als mein Verlobter einen guten Eindruck machst. Es ist ungeheuer wichtig, daß ein zukünftiger Ehemann einen guten Eindruck macht.« Und dann verzog sie das Gesicht, und sie umarmte ihn einen Moment lang und sagte: »Ach, Richard. Ich liebe dich wirklich. Das weißt du doch, oder?«
Und Richard nickte. Ja, das wußte er.
Jessica sah auf die Uhr und beschleunigte ihren Schritt.
Richard schnippte dem Mann auf der Türschwelle diskret eine Pfundmünze zu – die dieser mit einer schmutzigen Hand auffing.
»Du hattest doch keine Schwierigkeiten bei der Reservierung, oder?« fragte Jessica.
Und Richard, der nur schlecht lügen konnte, wenn ihm eine direkte Frage gestellt wurde, sagte: »Ah.«
Sie hatte den falschen Weg genommen. Der Gang endete an einer glatten Wand. Normalerweise hätte sie das kaum aufgehalten, doch sie war so müde, so hungrig, hatte solche Schmerzen …
Sie schluckte Luft, bekam einen Schluckauf und schluchzte. Ihr Arm war kalt, und ihre linke Hand war taub.
»Ach, bei meiner kleinen schwarzen Seele, Mister Vandemar, sehen Sie auch, was ich sehe?« Die Stimme klang leise und nah, sie mußten dichter an ihr dran gewesen sein, als sie gedacht hatte. »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist – «
»In einer Minute tot, Mister Croup«, sagte eine Stimme über ihr.
»Unser Auftraggeber wird entzückt sein.«
Und sie raffte alles zusammen, was sie trotz des Schmerzes, des Leids und der Angst noch tief in ihrer Seele finden konnte. Sie war am Ende, ausgebrannt und furchtbar erschöpft. Sie konnte nirgendwo hin, hatte keine Kraft mehr, keine Zeit.
»Und wenn das die letzte Tür ist, die ich öffne«, betete sie stumm zum Temple und zum Arch. »Irgendwohin … ganz egal, wo … wo es sicher ist … «, und dann dachte sie: »Zu irgend jemandem.«
Und sie versuchte, eine Tür zu öffnen.
Während die Dunkelheit sie aufnahm, hörte sie Mr. Croups Stimme wie von ganz weit her.
Er sagte: »Mist.«
»Du willst also wirklich sagen, daß du ihnen für unseren Tisch heute abend fünfzig Pfund extra versprechen mußtest ? Du bist ein Idiot, Richard.« Jessica fand das gar nicht witzig. »Sie konnten meine Reservierung nicht finden. Und sie sagten, es sei alles ausgebucht.«
»Wahrscheinlich setzen sie uns neben die Küche«, seufzte Jessica. »Oder die Tür. Hast du ihnen gesagt, daß es für Mister Stockton ist?«
»Ja.«
Sie seufzte wieder.
Eine Tür öffnete sich in der Wand, ein kleines Stück vor ihnen, und jemand trat heraus, stand einen langen, schrecklichen Moment schwankend da und brach dann auf dem Beton zusammen.
Richard erschauerte.
»Also, wenn du mit Mister Stockton sprichst, paß auf, daß du ihn nicht unterbrichst. Und ihm nicht widersprichst – er mag es nicht, wenn man ihm widerspricht. Wenn er einen Witz macht, lach. Wenn du dir nicht sicher bist,
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