Niemand, Den Du Kennst
»Wer ist der Autor?«, fragte er.
»Andrew Thorpe.«
»Taugt er was?«
»Ich hab das Buch nicht gelesen.«
Ich entschuldigte mich und ging in das dem Laden angeschlossene Café, wo ich mir eine Dose Espressobohnen mit
Schokoladenüberzug kaufte. Zurück in der Buchhandlung, steckte ich mir eine in den Mund und ließ die Schokolade auf der Zunge schmelzen. Als Thorpe fertig war, hatte ich bereits ein Dutzend gegessen und spürte allmählich die Wirkung.
»Bereit für einen Spaziergang?«, fragte er.
Eine halbe Stunde später saßen wir an einem kleinen Tisch im Mangosteen, zu beiden Seiten eingezwängt von geräuschvollen Mittagsgästen. Es roch nach Zitronengras.
»Ich empfehle Nummer zehn«, sagte Thorpe. »Gewürfeltes Steak mit Kartoffeln auf Reis, oder Nummer zweiundzwanzig, das Gleiche mit Nudeln.«
Ich entschied mich für die Nudeln. Die Bedienung war langsam, aber das Essen war gut. Thorpe sprach über ein Treffen, das er gerade mit seinem Life Coach gehabt hatte, und bombardierte mich dann mit einer Reihe von Fragen über mein Privatleben. Ohne genau zu wissen, warum eigentlich, erzählte ich ihm von Henry, unserer Trennung in Guatemala vor drei Jahren.
»War er der Eine?«, fragte Thorpe.
Ich zuckte nur die Achseln, aber er fragte noch einmal. Widerstrebend sagte ich: »Damals glaubte ich das.«
»Denkst du noch an ihn?«
»Hin und wieder.« Die Wahrheit war, dass ich in letzter Zeit sehr oft an ihn dachte, aber das ging Thorpe nichts an.
»Dann war er nicht der Eine«, sagte Thorpe. »Denn sonst würdest du jeden Morgen beim Aufwachen an ihn denken. Du würdest jeden Abend beim Einschlafen an ihn denken, wenn du deine Wäsche in der Reinigung abgibst, wenn du im Kino sitzt.«
»Ich habe James Wheeler besucht.«
»Du hast es also durchgezogen.« Er klang überrascht.
»Warum hast du mir nicht erzählt, dass er ein Alibi hatte?«
»War das so? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Wie ich schon sagte, er war einfach nicht so interessant.«
Er tunkte sein letztes Stück Fleisch in die Soße und steckte es in den Mund. Der Kellner kam mit der Rechnung, und Thorpe reichte ihm seine Kreditkarte, bevor ich noch protestieren konnte. »Ich bin pappsatt«, sagte er und tätschelte sich den Bauch. »Was hältst du davon, ein bisschen herumzulaufen, das Mittagessen wieder abtrainieren?«
Die Sonne brannte, versengte den Bürgersteig, glitzerte auf den parkenden Autos am Straßenrand. Ich zog meinen Pulli aus und drehte mir die Haare zu einem Knoten hoch, um sie aus dem Nacken zu haben. Das Tenderloin-Viertel roch grauenhaft in der Hitze, nach Hundescheiße, Benzin und gerösteter Pisse. Auf den Bürgersteig urinierende Männer gehörten zu den gängigsten Kennzeichen dieses Stadtteils, nur noch überboten von völlig zugedröhnten Prostituierten, die ihrem Gewerbe zu jeder Tages- und Nachtzeit nachgingen. Diese Gegend hatte ich noch nie gemocht.
Schweigend liefen wir auf der Larkin Street Richtung Süden, Straßenzug um Straßenzug.
Als wir die Market Street erreichten, drückten meine Schuhe allmählich, und ich fragte mich, wohin Thorpe eigentlich wollte. Jede Minute in seiner Gesellschaft machte mich beklommen, aber ich wollte ihn unbedingt nach weiteren Namen fragen.
»Magst du Pferderennen?«, fragte Thorpe. »Ich fahre manchmal nach Bay Meadows. Es macht mehr Spaß, als man denken würde. Ich wollte am Samstag hin. Komm doch mit.«
Glücklicherweise brauchte ich nicht zu antworten, weil wir genau in diesem Moment von einer Schar von zwölf Männern in Lederwesten, Kilts und Springerstiefeln überholt
wurden, die durch ein komplexes Geflecht aus Ketten miteinander verbunden waren.
»Ach, ich hatte ganz vergessen, dass an diesem Wochenende die Folsom Street Fair stattfindet«, sagte Thorpe.
Ich hatte allerdings eher das Gefühl, dass genau dieses berühmte Straßenfest der Leder- und Fetischszene von Anfang an unser Ziel gewesen war.
Wir liefen weiter. Binnen Kurzem wurden wir von der Menge aufgenommen: Männer in Lederchaps ohne etwas darunter, Frauen in schmerzhaft einschnürenden Korsagen, baumlange Transen auf Fünfzehn-Zentimeter-Absätzen. In meinem knielangen Sommerrock und dem T-Shirt kam ich mir völlig deplatziert vor, wie Exponat A in der Vorortmutti-Ausstellung im Museum für Mainstream-Moralität.
»Hätte ich gewusst, dass du hierherwillst, hätte ich mir ein etwas dramatischeres Outfit ausgesucht«, bemerkte ich.
»Du siehst toll aus. Vielleicht glauben die Leute,
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