Niemand, Den Du Kennst
einen für dich.«
»Wie bitte?«
»Noch einen Namen. Der kam ebenfalls nicht im Buch vor. Um die Zeit, als Lila vermisst wurde, hat man ein Auto in Armstrong Woods gesichtet, einen weißen Chevy. Jemand war der Meinung, er sähe verdächtig aus, schrieb sich das Kennzeichen auf und meldete es der Polizei.«
Er zog einen Zettel aus der Hosentasche und gab ihn mir. Darauf war ein Name gedruckt: William Boudreaux.
»Er war so eine Art Musiker, lief unter Billy. Ursprünglich wollte ich der Spur nachgehen, aber dann hatte ich zu viel um die Ohren. Außerdem war ich, als ich das entdeckte, eigentlich schon ganz zufrieden mit der Richtung, die die Handlung nahm.«
Ich faltete den Zettel sorgfältig zusammen und steckte ihn in meine Brieftasche. »Danke.« Danach liefen wir noch einige Minuten schweigend weiter, bevor ich schließlich die Frage stellte, die mich beschäftigte: »Warum tust du das?«
Thorpe lächelte. »Ich schätze mal, ich hege die heimliche Hoffnung, dass ich dich mir geneigt stimmen kann, wenn ich dir einen Gefallen tue.«
Wir nahmen unseren Weg wieder auf. Die Menge zerstreute sich, der Nebel drängte langsam heran. Als wir zurück zum Opera Plaza kamen, wo mein Auto geparkt stand, sagte ich: »Übrigens, bevor ich fahre - könntest du noch eine Sache für mich aufklären?«
»Nämlich?«
»Dein Haus. Der Ausblick von deinem Schreibtisch.«
»Ach, das.«
»Also?«
»Würdest du glauben, dass es ein Zufall ist?«
»Nein.«
Er wandte den Blick ab. Einen kurzen Moment lang schien er tatsächlich zu erröten. »Als es zum Verkauf angeboten wurde, hatte ich fast zwei Jahre hinter mir, in denen ich kein Wort geschrieben hatte. Immer wieder setzte ich mich an den Computer und starrte stundenlang auf die leere Seite. Das ging schon so lange so, dass ich mich schließlich dazu durchrang, das Schreiben vollkommen aufzugeben und wieder zu unterrichten. Eines Sonntags besuchte ich einen Freund in der Gegend. Wir fuhren zufällig dort vorbei und entdeckten das Besichtigungsschild. Er wollte sich das Haus gern ansehen, also begleitete ich ihn. Ich hatte gar nicht vor, mir etwas zu kaufen, und es ist auch eigentlich nicht mein Stil - zu modern, irgendwie kalt. Aber als ich feststellte, dass ich dein Haus vom oberen Fenster aus sehen konnte, wusste ich, dass ich es haben musste. Und ich wusste, dass das Zimmer mit dem Ausblick mein Arbeitszimmer würde.«
»Das ist ein bisschen unheimlich.«
»Kann sein, aber es hat funktioniert. Innerhalb von zwei Monaten nach meinem Einzug hatte ich drei Kapitel des neuen Buchs fertig. Ich schrieb immer nachts, aber nur in den Nächten, in denen das Licht in deinem Zimmer brannte.«
»Zu dem Zeitpunkt war es gar nicht mehr mein Zimmer«, sagte ich. »Meine Mutter hatte es in ein Arbeitszimmer verwandelt.«
Er legte die Hände auf das Dach meines Autos. »Ja, ich wusste, dass du nicht mehr dort wohntest. Aber wenn das
Licht brannte, konnte ich so tun, als ob. Ich stellte mir vor, du würdest an deinem alten Schreibtisch sitzen und Bücher lesen, dabei Musik hören. Zumindest hatte ich die Illusion deiner Nähe. Und manchmal warst du auch wirklich da. Bis deine Mutter letztes Jahr wegzog, ging ich donnerstagsabends praktisch nie aus dem Haus. Das war der eine Abend in der Woche, an dem ich mir fast sicher sein konnte, dich zu sehen. Wenn ich auch nicht mit dir sprechen konnte, so konnte ich mir doch immerhin eine imaginäre Linie von deinem Schreibtisch zu meinem vorstellen. Ich beobachtete dich da unten, wenn du mit deiner Mutter vor dem Haus auf dem Bürgersteig standest. Ich fragte mich, worüber ihr euch wohl unterhaltet. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich manchmal überlegte, ob mein Name vielleicht zur Sprache kam.«
»Dir muss doch klar sein, dass das seltsam ist«, sagte ich. »Sehr seltsam sogar.«
Was ich ihm nicht erzählte, war, dass selbst der eine Mann in meinem Leben, der mich aufrichtig geliebt hatte, Henry, mir niemals so treu ergeben gewesen war. Im Vergleich zu Thorpe hatte Henry mich relativ leicht aufgegeben. Brachte Obsession eine tiefere Loyalität hervor als Liebe?
Er rubbelte an einem nicht vorhandenen Fleck auf dem Autodach. »Was soll ich sagen? Du warst meine Zelda, meine George Sand, meine Stella. Meine Bücher, das Haus, der zaghafte Prominentenstatus, den ich genieße - das alles habe ich dir zu verdanken.«
Es war nicht schwer zu erkennen, dass er mich auf einen Sockel gehoben hatte. Wären die Umstände andere gewesen
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