Niemand hört dich schreien (German Edition)
»Vermutlich schon. Amanda ist das einzige Kind, das wir adoptiert haben. Unsere anderen fünf Kinder sind unsere eigenen.« Ihre Wangen färbten sich rot. »Ich meine, sie sind unsere leiblichen Kinder.«
»War ihr Name immer Amanda?«
»Das war ihr Name, als sie zu uns kam. Und sie hat uns nie einen anderen genannt.« Mrs Sorenson runzelte die Stirn. »Aber ich vermute, es war eine Art Tarnname, den die vermittelnde Agentur benutzt hat.«
»Ein Tarnname?«
»Das wurde so gehandhabt. Man erfand neue Namen für die leibliche Mutter und das Adoptivkind. Manchmal auch neue Geburtstage. Damit wollte man die Identitäten schützen.«
Jacob trommelte mit den Fingern auf seinen Oberschenkel. »Hat sie je über ihre ursprüngliche Familie gesprochen?«
Mrs Sorenson schüttelte den Kopf. »Nein, nie. Ich wollte sie dazu bewegen, sich zu öffnen, aber sie hat es nie getan. Soweit ich gehört habe, ist das nicht so ungewöhnlich bei einem Kind, das bei der Vermittlung schon älter war. Ich glaube, der Wechsel aus Amandas früherem Zuhause zu uns war plötzlich und traumatisch.«
»Plötzlich?«
»Man hat uns keine Einzelheiten erzählt.« Mrs Sorenson seufzte. »Damals habe ich das Vorgehen der Sozialarbeiterin nicht infrage gestellt. Ich dachte, wenn wir sie genug lieben würden, könnten wir überwinden, was immer sie durchgemacht hatte. Aber es war nie so einfach.«
Mr Sorenson runzelte die Stirn. »Sie hat uns fortwährend auf die Probe gestellt. Ausprobiert, wie weit sie gehen konnte.«
Mrs Sorenson lächelte, ihre Augen waren feucht. »Ich glaube, sie musste sich selbst davon überzeugen, dass wir zu ihr hielten, egal was passierte.«
»Und wurde sie vom Staat an Sie vermittelt?«, fragte Jacob.
»Von einer privaten Agentur. Adoptionsservice Virginia.«
Jacob nickte. »Wo hat sie ihre Ausbildung absolviert?«
»Sie ist zur Virginia Commonwealth Universität gegangen. Sie hat einen Abschluss in Malerei gemacht, später dann einen Master in Kunstgeschichte. Sie war eine begabte Malerin.«
»Hat sie ihre Arbeiten verkauft?«
Mrs Sorenson lächelte schwach. »Vor ein paar Monaten hat sie zwei Stücke verkauft. Sie hat sich wahnsinnig darüber gefreut. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, hat sie außerdem bei einem Autoverleih gearbeitet. Oft mussten wir ihr bei der Miete aushelfen.« Tränen stiegen ihr in die Augen, und wieder begann sie zu weinen.
Mr Sorenson legte seiner Frau einen Arm um die Schulter. »Können diese Fragen warten? Meine Frau ist zu aufgewühlt.«
Mrs Sorenson hob den Kopf. »Ich kann weitersprechen. Ich muss weitersprechen. Das schulde ich Amanda. Ich habe das Gefühl, sie in so vieler Hinsicht im Stich gelassen zu haben.«
»Warum denken Sie das?«, fragte Jacob.
»Ich wollte unbedingt eine enge Beziehung zu ihr. Ich habe alles versucht, doch nichts hat geholfen. Ich sage das nur ungern, aber manchmal habe ich ihr deswegen gegrollt. Ich habe ihr alles gegeben, und nie war es genug.«
»Haben Sie je den Namen Rachel gehört?«
»Nein«, antwortete Mr Sorenson.
»Wie steht es mit Judith oder Ruth?«
Seine Frau sah auf. »Als sie ganz neu bei uns war, habe ich gehört, wie sie im Traum ›Judith‹ sagte. Als ich sie fragte, wer das sei, wollte sie es nicht sagen.«
Jacob blickte Zack an. Dies war die erste greifbare Verbindung zwischen den Opfern. »Falls Ihnen irgendetwas einfällt, das Amanda mit den Namen Judith, Ruth oder Rachel in Verbindung bringen könnte, würden Sie es uns wissen lassen?«
»Selbstverständlich«, antwortete Mr Sorenson. »Sie werden von uns jede Hilfe bekommen.«
Die Sorensons erhoben sich und brachten die Detectives zur Tür. Keiner der beiden Polizisten sprach, bis Jacob den Motor gestartet und sich in den Verkehr eingefädelt hatte.
»Was zum Teufel sieht der Mörder in diesen Frauen, das uns entgeht?«, fragte Zack.
Jacob trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. »Wir wissen, dass Vicky ein Pflegekind war. Amanda war adoptiert. Vielleicht war Jackie ebenfalls adoptiert.«
»Niemand hat gesagt, dass Jackie adoptiert war.«
»Niemand hat gesagt, dass sie es nicht war. Und wir haben nie daran gedacht, diese Frage zu stellen.«
»Glaubst du wirklich, dass das die Verbindung ist?«
»Ich weiß es nicht. Aber im Moment ist es alles, was wir haben.«
Es war bereits nach Mittag, als Cole sein Haus durch die Hintertür verließ und den schmalen Schotterweg zu Kendalls Vorgarten überquerte. Er war sich sicher, dass bei ihr niemand zu Hause war.
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