Niemand hört dich schreien (German Edition)
oder?«
Ayden zuckte die Achseln. »Ich bin ihr einige Male über den Weg gelaufen.«
Dies war die Stelle, an der er hätte sagen müssen, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. »Und sie ist ganz nett, oder?«
»Sie hat mir nicht besonders gefallen.«
»Oh.«
Er beugte sich vor. »Sie sind doch fertig mit dem Auftrag, oder?«
»Ja.«
»Dann machen Sie sich keine Sorgen. Lehnen Sie weitere Aufträge einfach ab.«
»Sie haben recht. Ich habe überreagiert.« Sie hatte das Bedürfnis, es ausgesprochen zu hören.
»Das habe ich nicht gesagt. Ich sage nur, ich würde an Ihrer Stelle nicht noch einmal für sie arbeiten.«
Sie seufzte. »Danke.«
»Wofür?«
»Dafür, dass Sie mich reden lassen. Ich bin bei der Arbeit so viel allein, ich habe nicht viel Gelegenheit, mit Leuten zu reden.«
Wenn er lächelte, bildeten sich kleine Falten um seine Augen. »Sie tun mir einen Gefallen. Ich habe zwei halbwüchsige Söhne, die mit mir nur über Körperfunktionen und Cheerleader reden.«
Sie lachte laut los.
Ayden lehnte sich zurück und genoss den Klang von Nicoles Gelächter. Als er sie im letzten Sommer gesehen hatte, hatte sie ihr Haar kürzer getragen, und es war blondiert gewesen. In den letzten sieben Monaten war das gebleichte Haar herausgewachsen und geschnitten worden. Jetzt umrahmte pechschwarzes Haar ihr rundes Gesicht. Das dunkle Haar gefiel ihm besser als das helle. Es ließ ihre blauen Augen ausdrucksvoller und verführerischer wirken.
Die Schwangerschaft stand Nicole gut. Das etwas rundere Gesicht war entschieden besser als die Hagerkeit im letzten Sommer. Und trotz des vorstehenden Bauches hatte sie immer noch etwas Anmutiges an sich.
»Wie heißen ihre Jungs?«
Ihr Interesse war echt. »Caleb und Zane. Sie sind sechzehn und fünfzehn Jahre alt.«
»Ich wette, sie halten Sie ganz schön auf Trab.«
»Sie machen sich keine Vorstellung. Heute Morgen ist Caleb um sechs Uhr eingefallen, dass er wegen der Veranstaltung um acht Uhr hier sein musste. Er hat mich geweckt, ohne im Geringsten daran zu denken, dass ich diese Woche abends oft lange gearbeitet habe.«
Sie stützte das Kinn in die Hand. »Ich war als Teenager oft mit den Gedanken woanders. Ich habe meine Mutter zum Wahnsinn getrieben. Aber sie war immer ein guter Kumpel.«
»Calebs Mutter, Julie, war die Ruhige von uns. Ich wünschte, sie wäre heute da gewesen, um die Wogen zu glätten.«
Seit seine Frau vor zwei Jahren gestorben war, hatte Ayden nie mit einer anderen Frau sprechen können, ohne zuerst an Julie zu denken. Schuldbewusst registrierte er, dass er noch gar nicht an sie gedacht hatte, seit Nicole sich zu ihm gesetzt hatte. »Julie hat die Jungs immer überall hingebracht. Ich musste mich nie darum kümmern.«
Nicoles Gesicht wurde sanft. »Zack Kier hat einmal erwähnt, dass Sie Witwer sind. Woran ist sie gestorben?«
»Krebs.« Nicoles Direktheit gefiel ihm. Er war es leid, das Unbehagen der anderen angesichts Julies Tod zu überspielen.
In seinem Magen bildete sich der vertraute Knoten, der heftige Schmerz über den Verlust ließ jedoch langsam nach. »Ich tue mein Bestes, um ihre Erinnerung für die Jungs lebendig zu halten. Aber es fällt ihnen immer schwerer, sich an sie zu erinnern.«
Nicole nickte ernst. »Wenn ich mir Fotos meiner Mutter anschaue, erinnere ich mich an sie. Ansonsten ist es schwierig.«
»Wie lange ist sie schon tot?«
»Acht Jahre. Autounfall.«
Es ging ihn zwar nichts an, wie es Nicole ging, aber es interessierte ihn. Zusammen mit der Polizei von Richmond und San Francisco hatte er die Morde ihres verstorbenen Mannes aufgedeckt. Es waren schlimme Gewalttaten gewesen.
»Ich muss sagen«, tastete Ayden sich vor, »es scheint Ihnen wirklich gut zu gehen.«
Sie verstand, worauf er anspielte, und nickte. »Ich mache einfach einen Schritt nach dem anderen. Solange ich in Bewegung bleibe, schaffe ich es schon.«
»Genau so habe ich mich gefühlt, als Julie gestorben ist.«
Sie trank einen Schluck Tee. »Aber ich habe meinen Mann nicht geliebt. Jedenfalls nicht am Ende.«
»Aber irgendwann haben Sie ihn geliebt.«
»Anfangs schon.«
»Es ist normal, deswegen zu trauern.«
»Ich habe schon vor langer Zeit deswegen getrauert. Wirklich schwierig war es, wieder leben zu lernen. Für mich allein zu denken. Neulich wollte ich mir Schuhe kaufen und habe mich tatsächlich kurz gefragt, ob Richard wohl damit einverstanden wäre. Solche Momente machen mich wütend.«
Sie hatte eine Kämpfernatur.
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