Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Frankreich. Als ich zum ersten Mal dort war, habe ich erfahren, dass der französische Geheimdienst eine Tunesierin angeheuert hatte, um mich in eine Falle zu locken. Eine legitime Methode, aber da kannte man mich wirklich schlecht. Mich jagt man nicht. Ich bin der Jäger! Gaddafi hat ebenfalls Mädchen geschickt, um Leute aus seinem Umfeld und hohe Machthaber in eine Falle zu locken. Gewisse Leute sind darauf reingefallen.«
»Wussten Sie, dass er manchen Minister zu einer sexuellen Beziehung mit ihm zwang?«
»Das erstaunt mich nicht. Es gibt so viele Ehrgeizlinge. Darunter waren sogar welche, die, um sich Vorteile zu sichern, bereit waren, ihre Frau oder ihre Tochter auszuliefern! Was den Gipfel der Schande in der libyschen Kultur darstellt. Es ist der Charakterzug eines Untermenschen.«
»Er soll sogar versucht haben, die Ehefrauen seiner Cousins zu vergewaltigen.«
»Man ist kein Mann, wenn man akzeptiert, dass ein anderer die eigene Frau anfasst.«
»Wie hätte man darauf reagieren sollen?«
»Indem man den Vergewaltiger tötet. Oder indem man sich selbst den Tod gibt.«
»Sie müssen doch wissen, dass er auch die Frauen von Gardisten und Militärs belästigt hat.«
»Ich garantiere Ihnen, dass meine eigene Familie davon niemals betroffen war! Ich habe immer alles getan, um sie zu schützen?«
»Wie?«
»Ich habe dafür gesorgt, dass meine Frau nie in ein Auto gestiegen ist, das nicht von mir oder einem meiner Söhne gefahrenwurde. Wir hatten keinen Chauffeur. Nur in Ausnahmefällen habe ich die Dienste des Bruders meiner Frau in Anspruch genommen, weil er noch vorsichtiger war als ich. Und eifersüchtig!«
»Sie haben sich also vor Gaddafi in Acht genommen?«
»Wir haben ihn nicht zur Hochzeitsfeier meines Sohnes eingeladen. Am dritten Tag kam Safia vorbei, um uns zu beglückwünschen und ein Foto mit meinem Sohn und seiner Frau zu machen. Das ist alles.«
»Warum?«
»Ich wollte nicht, dass meine Familie, die eine hohe Achtung genießt, Opfer dieses Treibens wurde. Die Hochzeitsfeier hat in meinem Haus stattgefunden, da ich die Hotelkameras fürchtete. Das Musikorchester bestand nur aus Frauen, empfangen wurden die Gäste nur von Frauen – mit Ausnahme meines Sohnes. Und wir hatten ein Handy-Verbot ausgesprochen, damit es keine heimlichen Aufnahmen gab.«
»Sie hatten also gedacht, dass er sich, wenn Sie ihn zu dem Empfang einladen würden, neue Beute aussuchen könnte?«
»Er hätte es nicht gewagt, sich an einer der Eingeladenen zu vergehen. Er wusste zu genau, wie ich reagiert hätte. Aber mir war es trotzdem lieber, ihn weit weg zu wissen. Wenn er gekommen wäre, hätte er sich sicher von einer seiner Schlampen begleiten lassen, die nur auf solche Gelegenheiten lauerten. Und diese Vorstellung war mir schrecklich.«
Was für ein Eingeständnis! Was für ein Misstrauen! Tat es ihm nicht leid, einen so verachtungswürdigen Schurken bis zum bitteren Ende begleitet zu haben? Er richtete sich auf seinem Stuhl auf und nahm sich Zeit für seine Antwort.
»Am Anfang«, sagte er schließlich, »hatte ich Vertrauen und überhaupt keine Vorstellung von all seinen Exzessen. Washilft es, wenn ich jetzt, wo er tot ist, mein Bedauern ausdrücke? Das behalte ich für mich, begraben im tiefsten Inneren. Ich schütze meine Familie, das ist das Wichtigste für mich. Und ich stelle mich jetzt der Justiz des libyschen Volkes. Ich werde sein Urteil akzeptieren. Auch wenn es eine Verurteilung zum Tode aussprechen wird.«
Er stand auf, um zu gehen, und wartete darauf, dass man ihn in seine Zelle zurückbegleitete. Plötzlich änderte er seine Meinung.
»Wissen Sie, als ich hierher kam, nach Misrata, war diese Stadt vom Krieg gebeutelt. Ich habe viel Blut gelassen, ich war schwer verletzt, fast tot. Man hat mich versorgt und mit Respekt behandelt. Es ist mir wichtig, das zu sagen. Ich schlafe auf einer Matratze, die mir der Gefängnisdirektor von sich zu Hause mitgebracht hat. Er hat mir Kleidung gegeben. Ich entdecke, dass ich mich freue, mit anständigen Menschen zu sprechen, die auf der Seite der Rebellen gekämpft haben, und dass es ein beinahe brüderliches Band gibt, das uns zusammenhält. Das ist seltsam, nicht wahr?«
7
Komplizen und Treiber
Zurück nach Tripolis, in diese seltsame Stadt, die modern und rückschrittlich zugleich ist, die verstopft, aus dem Gleichgewicht geraten und dekadent wirkt, die gar nicht mehr zu wissen scheint, wer sie ist. Vielleicht hat sie einen verborgenen Charme. Ganz
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