Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
diese Platte von John Williams vom Dorn zu bekommen, und Suzy betrachtete mich entsetzt, und dann hatte ich die Platte endlich in der Hand und sah mich um und erblickte eine Sessellehne, und über der brach ich die Platte entzwei, und die Hälften noch einmal entzwei, und zerschnitt mir den rechten Handballen dabei, und Blut floß, und ich schleuderte die Plattenstücke in eine Ecke. Und dann stand ich da, nackt, reglos, stumm. Und Suzy sah mich an, auch stumm, und dann sah sie zu Boden, aber diesmal weinte sie nicht, diesmal war sie zu traurig, um zu weinen. Sie stand auf und holte Jod und Leukoplast und versorgte die Schnittwunde, und dann sagte sie: »Babs, ja?«
    Ich nickte.
    »Willst ins Krankenhaus?«
    Ich nickte.
    »Jetzt gleich?«
    Ich nickte.
    Mit der traurigsten Stimme, die ich je gehört habe, sagte Suzy: »Ich mache dir noch schnell einmal starken Kaffee. Und essen mußt du auch etwas.«
    »Keinen Bissen krieg ich runter.«
    »Na, dann aber ich! Unbedingt. Du zieh dich inzwischen an. Im Badezimmer ist alles, was du brauchst.« Danach lief sie aus dem Schlafzimmer.
    Und ich ging ins Bad, und dann zog ich mich an und ging zu Suzy in die Küche, und sie frühstückte mit mir. Sie war noch immer traurig, aber sie versuchte immer wieder, mich anzulächeln. Ich versuchte es auch. Der starke heiße Kaffee war wunderbar.
    »Ich habe dich wirklich so lieb, mon p’tit chou«, sagte Suzy.
    »Ich dich doch auch«, sagte ich.
    »Und mit meinem Plan war es mir ernst.«
    »Mir auch«, sagte ich.
    »Aber es wird nun nie etwas daraus werden«, sagte Suzy.
    Ich schwieg.
    »Siehst du«, sagte Suzy.
    »Es tut mir leid.«
    »Soll dir nicht leid tun«, sagte Suzy. »Natürlich bleibst du hier, solange du mich brauchst.« Sie sagte ›mich‹, nicht ›meine Wohnung‹. »Und kein Mensch erfährt, daß du hier bist, das verspreche ich dir – außer solche, denen du es sagen mußt.«
    »Danke, Suzy!«
    »Soll ich dir ein Taxi rufen?« fragte sie und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
    »Nein«, sagte ich. »Das ist zu gefährlich. Und es ist ja auch noch sehr früh. Ich laufe erst noch ein Stück. Wie spät ist es denn überhaupt?«
    »Kurz vor sieben«, sagte Suzy. »Setz deine Brille auf.«
    Ich nahm die Brille mit den dunklen Gläsern.
    Wir gingen in den Vorraum, und Suzy hielt meinen Mantel, und dann küßte sie mich.
    »Ich hänge inzwischen alle deine Sachen auf. Die von Babs werde ich auch aus dem Koffer nehmen. Sonst sind sie so zerdrückt. Die Wohnungsschlüssel hast du?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Kannst also kommen, wann du willst. Ich muß bald in meinen Salon. Aber du kommst zurück, sobald du kannst. Du brauchst Schlaf.«
    »Ja«, sagte ich. »Danke, Suzylein.«
    »Sag nicht danke«, sagte sie. »Ich muß auch mit meinen Freunden von der Polizei reden, damit die nicht bei mir suchen.«
    »Brauchst du nicht«, sagte ich. »Ich bin im Hotel gestern ausgezogen mit Babs. Nach Madrid geflogen. Habe ich dir doch erzählt.«
    »Wie schön«, sagte Suzy und drehte den Kopf weg.
    »Weine nicht«, sagte ich. »Bitte, mon petit chou, weine nicht.«
    »Wer weint?« fragte Suzy und sah mich an und rieb ein Auge. Sie hatte eine Zigarette angezündet. »Mir ist nur Rauch ins Auge gekommen. Schon wieder alles in Ordnung. Ich bin froh, daß du wenigstens jetzt bei mir wohnen wirst – für eine kleine Weile. Vielleicht auch nur noch für eine Nacht. Niemand weiß es. Wäre natürlich schöner gewesen, wenn wir meinen Plan hätten verwirklichen können. Aber aus dem wird nun niemals mehr etwas werden. Denn du kommst niemals mehr heraus aus deinem Kreis.«
    »Das werden wir erst mal sehen«, sagte ich.
    »Niemals mehr kommst du heraus«, sagte Suzy. »Da werden wir gar nichts sehen. Wenn du herauskönntest – würdest du sonst jetzt zu der Kleinen fahren?«
    Zehn Minuten nach sieben Uhr früh war es da am 26. November 1971, einem Freitag.

47
    D ER WELT GRÖSSTES KLEINES SONNENSCHEIN-MÄDCHEN.
    Babs.
    Da lag sie.
    Schweißüberströmt in ihrem Bett.
    Ich sah Bläschen auf Babs’ Lippen und auf der ganzen Körperhaut (ihr Hemdchen hatte sich bis zum Hals hinauf verschoben) rote Flecken. Sie stieß einen Schrei aus. Auf einmal streckten sich die kleinen Arme und Beine hoch in die Luft, zuerst stocksteif, dann begannen sie zu zucken. Der ganze winzige Körper zuckte. Ihr Atem rasselte, keuchte, pfiff, krächzte, sie bekam nicht genug Luft. Jetzt warf sie sich hin und her. Die Pupillen waren völlig verdreht, das

Weitere Kostenlose Bücher