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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Verheerungen, die das Virus anrichtet, gestoppt werden.«
    »Und dafür gibt es kein Mittel?«
    »Es gibt ein Mittel, Monsieur Norton«, sagte Ruth Reinhardt.
    »Na also!«
    »Es gibt ein Mittel, Monsieur Norton«, sagte die Ärztin, »das sich noch in der Erprobung befindet.«
    »Ach so.«
    »Nein, nicht ach so. Neue Mittel dieser Art – und das ist ein Breitbandantibiotikum mit einem besonderen virostatischen Effekt – sind oft jahrelang in klinischer Erprobung. Wir haben es auch schon mehrfach angewendet. Und wir haben fast ausschließlich gute Erfahrungen damit gemacht.«
    »Fast?«
    »Ja, Monsieur Norton. Das Mittel wirkte Wunder, meistens. Aber nicht in allen Fällen. In einigen Fällen …«
    »Ich verstehe.«
    »Jedenfalls ist es das einzige Mittel, mit dem wir Babs am Leben erhalten können.«
    »Das einzige Mittel, bei dem die große Wahrscheinlichkeit besteht, daß Sie Babs am Leben halten können«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Dr. Sigrand. »Und darum brauchen wir, wenn wir es nun anwenden, noch einmal Ihre schriftliche Zustimmung. Wir haben unsere Vorschriften. Sie müssen einverstanden sein. Wenn Sie es nicht sind, dürfen wir dieses Mittel nicht anwenden.«
    Ich trank Kaffee.
    »Und wenn ich zustimme, und etwas geht schief?«
    Keine Antwort.
    Ich sah Ruth Reinhardt an. Sie sah mich an und schwieg.
    Ich sah Sigrand an. Der sah mich an. Und schwieg. Und zuckte die Achseln. Dann sagte er: »Wenn wir das Mittel nicht anwenden, können wir nicht garantieren, daß Babs den Tag überlebt.«
    Wissen Sie, mein Herr Richter, wenn Sie so etwas hören, kommen Ihnen eine Menge Gedanken, sofern Sie einer sind, wie ich einer gewesen bin. Der erste Gedanke, der mir kam, war der: Und wenn Babs den Tag nicht überlebt? Ist das nicht das Beste? Ist das nicht die Lösung überhaupt? Aber dann, mein Herr Richter, passierte etwas, das ich bis heute nicht begreifen kann, etwas absolut Verrücktes im Verhalten eines Mannes, wie ich es war. Ich denke, es gibt eine einzige Erklärung dafür: Seit ich dieser Frau Dr. Ruth Reinhardt begegnet war, schien irgend etwas mit mir nicht mehr in Ordnung zu sein. Ja, ganz bestimmt ist das. die Erklärung – für alles, was ich von da an tat, für den zweiten Gedanken, der mir in jenem Moment kam. Ich dachte nicht etwa daran, daß Sylvia mich vielleicht als den Mörder ihres Kindes bezeichnen würde, wenn ich jetzt meine Zustimmung verweigerte. Nein, der zweite Gedanke – und es ist mir wirklich unangenehm, daß jemand wie ich ihn nun niederschreiben muß, aber dieser zweite Gedanke kam mir wirklich – war dieser: Wer bist du, daß du dieses Kind einfach zum Tod verurteilen darfst? Nicht nur dieses Kind. Irgendein Lebewesen auf der Welt.
    Mit einer Stimme, die nicht die meine war (schien es mir), sagte ich: »Ich bin einverstanden. Tun Sie alles. Nehmen Sie das neue Mittel.«
    Ruth Reinhardt legte ein Blatt Papier vor mich hin. Alles Nötige war schon eingetragen, sah ich. Ich unterschrieb.
    Mit dieser Unterschrift hatte ich unser aller Zukunft festgelegt, alles, was noch geschehen sollte – und was zuletzt dazu führte, daß Romero Rettland auf dem dreckigen Fußboden eines Zimmers im dreckigsten Stundenhotel von Nürnberg lag, tot, mit einer stählernen Kugel im Herzen.

Diagnose
WAHRSAGERIN: Sie wissen, was kommt. Regen. Regen. Ströme von Regen. Die Sintflut. Aber zunächst werden Sie schandbare Dinge zu sehen bekommen – schandbare Dinge. Einige unter Ihnen werden sagen: »Laßt ihn ersaufen. Er ist nicht wert, gerettet zu werden. Gib die ganze Geschichte auf.« Ich kann es in Ihren Gesichtern lesen. Aber Sie haben unrecht.

Aus: Wir sind noch einmal davongekommen
von THORNTON WILDER

1
    D er alte Mann hob das tote Kind auf. Tränen rannen über sein Gesicht. Dann ging er die staubige Straße zwischen den Feldern hinab, weiter und weiter. Das Kind trug er auf seinen Armen. Der alte Mann hatte einen verbeulten Hut, seine Schuhe waren schiefgetreten, und seine Hose und sein loses Hemd waren zerschlissen. Die Straße, die der alte Mann entlangging, schien ohne Ende zu sein. Der alte Mann ging schwankend und unsicher, aber er ging immer weiter und weiter auf die blauen Berge zu, die sich, eine Unendlichkeit entfernt, aus Dunst und Sonnenglast erhoben. Es war sehr heiß, und die Erde war ausgedörrt, und es bereitete dem alten Mann große Mühe, zu gehen, das sah man. Doch er ging, das tote Kind in den Armen. Nun war er schon sehr klein geworden. Das Bild wurde dunkel. Aus

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