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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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kann. Er war das Genie des italienischen Films. Sie wissen es. Meisterwerk um Meisterwerk hat er der Welt geschenkt, dieser so große Mensch, dieser so große Schauspieler, mein Vertrauter, mein so guter Freund, den ich niemals vergessen werde: Alfredo Bianchi.« Pause. Neue Tränen aus Sylvias wunderschönen Augen. Einzelne Schluchzer aus dem Publikum. Das waren die zwanzig soignierten Herrschaften, von denen ich schrieb. Hatte Marone engagiert. über den Saal verteilt. Diese Damen und Herren wußten genau, wann sie zu schluchzen hatten. Abendgage: 50000 Lire. Aber so etwas zahlt sich aus.
    »Alfredo Bianchi hat diesen Film geliebt«, sagte Sylvia. »Er hat zu mir gesagt, noch niemals habe er eine so wunderbare Rolle wie diese in seinem langen, langen Schauspielerleben gespielt. Mein Gott, wie arbeitete Alfredo an seiner Rolle! Wie viele Nächte lang debattierten wir mit dem Regisseur und den Autoren vor Drehbeginn! Die Änderungen, die Alfredo vorschlug … jede einzelne war begründet. Er sagte …« Sylvia vermochte nicht weiterzusprechen. Sie schluckte.
    »Wie alt war Bianchi?« fragte ich Bracken leise.
    »Achtundsechzig.«
    »… er sagte …« – Sylvia hatte sich gefangen, aber sie kämpfte von nun an ständig mit den Tränen – »… er sagte zu mir: Sylvia, mein Kind, dies ist der Film, von dem ich geträumt habe. Ich glaube, ich werde nach diesem keinen Film mehr drehen.«
    »Reinstes Wunder, daß er diesen Film noch durchgehalten hat«, flüsterte Bracken mir zu. »Der alte Morphinist. Wie viele Entziehungskuren hat der schon hinter sich gebracht?«
    »Fünf«, sagte ich.
    »Hut ab«, sagte Bracken.
    »Hat sich überhaupt nur noch durch diesen Film geschleppt, indem er sich dauernd gespritzt hat, das weißt du doch.«
    »Klar weiß ich’s«, sagte Bracken. »Wer hat denn dafür gesorgt, daß er immer genug Stoff bekam? Alles muß ich machen.«
    »… und, meine Damen und Herren, was Alfredo mir da sagte, ist nun in Erfüllung gegangen – anders, als er es gemeint hat. Auf eine tragische, furchtbare Weise, die einen dazu bringen könnte, mit Gott zu hadern, wennschon man weiß, daß dessen Ratschluß unergründlich und gütig ist … Nein, Alfredo, unser geliebter Alfredo Bianchi, wird nun keinen Film mehr drehen«, sagte Sylvia. »Er ist nicht mehr unter uns. Er konnte heute abend diesen Film, den er – er!  – zu einem so großen Film gemacht hat, nicht mehr sehen. Sein Herz, das ein Leben lang nur für andere schlug, hat er in diesem Film überfordert. Er wußte es. Es machte ihm nichts aus. Er wollte, er mußte SO WENIG ZEIT drehen. Wir, die wir ihn lieben, wollen diesen Film als sein Vermächtnis betrachten …«
    »Das ist alles von mir«, sagte Bracken leise zu Joe, der sich ergriffen schneuzte.
    Joe konnte nur nicken.
    »… sechs Monate, nachdem die Aufnahmen beendet waren, stand das Herz dieses großen Mannes still – für immer. In römischer Erde, auf dem Friedhof Campo Verano, ganz nahe der Basilica San Lorenzo, auf diesem Friedhof, den er so sehr liebte, weil dort auch seine Mutter und sein Vater liegen, hat er die letzte Ruhe gefunden.«
    Überzeugter Junggeselle, war Bianchi nie verheiratet gewesen, hatte keine Erben oder etwas ähnlich Hinderliches. Sein Vermögen ging an die Kirche, das ganze Vermögen. Alfredo hatte unter seiner Sucht gelitten. Immer, wenn er wieder einmal ausgeflippt gewesen war, lief er in die Kirche und beichtete und bereute und betete. Aber wer wußte das außer ein paar Insidern? Und die Kirche würde diesen Film der ganzen Welt als ›Besonders wertvoll‹ empfehlen. So viel Massel muß man haben.
    »Ich …« Sylvia rang nach Atem. »Ich … entschuldigen Sie, meine Damen und Herren … ich kann nicht weitersprechen. Lassen Sie uns, ich bitte Sie, nun alle eine Minute lang schweigend dieses begnadeten, dieses wundervollen Mannes Alfredo Bianchi gedenken.«
    Sie senkte den Kopf. Die Rosen hielt sie an die Brust gepreßt. Kameras surrten. Und nach und nach, zuerst langsam, dann immer schneller, erhoben sich die Zuschauer. Zuletzt standen sie alle schweigend – auch Joe, Bracken und ich.
    Und ich sah sie da unten, und plötzlich mußte ich an alles denken, was in den letzten sechs Monaten geschehen war. So viel. So viel. Und ich erinnerte mich an alles. An so viel kann man sich erinnern, in einer einzigen Minute …

2
    D ie Tür flog auf.
    Eine kleine, untersetzte Frau in einem abgetragenen Stoffmantel, einen Hut auf dem Kopf, unter dem

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