Niemand ist eine Insel (German Edition)
mitgebracht hatte, sein Werk zu verfilmen: Er war schon mehr als 70 Jahre tot, so daß keine Verfilmungsrechte mehr zu bezahlen gewesen waren, und er war zuerst Anarchist und dann unerbittlicher Kämpfer für die katholische Kirche geworden. Also einfach Zucker. Deshalb die vielen geistlichen Herren und die vielen KP-Chefs. Alles, was recht ist: Carlo Marone hatte seine Chance bekommen, und er hatte sie genutzt! Hier war wirklich nur die Crème de la Crème Italiens versammelt, Marone hatte persönlich darüber gewacht. Den mächtigen Film-, Fernseh-, Zeitungs- und Buchverleger Olieri und seine schöne junge Frau beispielsweise hatte Marone drei Tage lang im ungewissen darüber gelassen, ob sie zu dieser Filmpremiere noch Karten bekommen würden. Und von Aneto, dem Modeschöpfer, wußte ich, daß er Marone dreimal persönlich angerufen und um zwei Karten regelrecht angebettelt hatte, für sich und seinen jungen Freund. Und dann natürlich Kritiker. Nur die erste Garnitur der ersten Blätter. Eingeflogen aus der ganzen Welt. Desgleichen eingeflogen Schauspieler und Produzenten und Regisseure aus der ganzen Welt. Und endlich gab es, im Saal verteilt, zwanzig sehr soignierte Damen und Herren, die eigentlich niemand kannte.
Im Augenblick, da Sylvia aus der Kulisse herausgekommen war, hatte Beifall eingesetzt. Beifall ist nicht das richtige Wort. Ich finde es auch nicht. Es gibt das richtige Wort nicht für das, was da im Teatro Sistina losbrach, mein Herr Richter. Die Italiener sind filmverrückt, man weiß es, Sylvia ist die größte Filmschauspielerin unserer Zeit, man weiß dies, der Film, den wir soeben gesehen hatten – SO WENIG ZEIT –, war hervorragend (der letzte, den Sylvia vor dem Lifting gedreht hatte), nein, Beifall ist kein Wort. Es gibt keines. Die Mauern des Teatro Sistina erbebten. Der Boden zitterte, auch in unserer Loge. Ich bekam es ehrlich mit der Angst. Diese Mächtigsten der Mächtigen, diese Schönsten der Schönen, diese Reichsten der Reichen, diese Rötesten der Roten, diese Frömmsten der Frommen – sie klatschten nicht, nein, sie trampelten, riefen wie rasend Sylvias Namen und Huldigungen für sie. Und wir saßen wie über dem tobenden Saal der Unruhigen-Station eines Irrenhauses.
Dieser Marone …
Natürlich klatschten auch Joe Gintzburger, Bracken und ich. Was denn? Und wie! Bracken grinste mich und Joe an. Joe schrie (er mußte schreien, wir hätten ihn sonst nicht verstanden): »Da vorne, der in Violett, ist das einer vom Heiligen Vater?«
»Yeah, Joe«, brüllte Bracken, »yeah, Joe, that’s him!«
»Er weint«, schrie Joe.
Tatsächlich, der Violette führte ein Tuch an die Augen, bevor er weiterklatschte.
»Eine Million mehr in Italien«, schrie Joe. Ich sah, daß er sein Taschentuch zog. Auch Joe mußte weinen.
Auf der Bühne, im Scheinwerferkegel, stand immer noch Sylvia, reglos. So schön, wie sie noch nie gewesen war. Wahrlich, mein Herr Richter, es gibt keine schönere Frau im Filmgeschäft als sie. Dieser Professor Delamare ist ein Meister – die wahnwitzige Rechnung, die er präsentiert hatte, war nur gerechtfertigt, er hatte Wundervolles geleistet. Unirdisch wie das unirdische Licht, das sie einhüllte, sah Sylvia aus. Das war ein perfektes Lifting gewesen. Joe Gintzburger weinte noch immer. Tränenversprühend neigte er sich zu mir und redete sanft in mein Ohr.
»Zwischen der Cardinale und dem Mastroianni – ist das wirklich der sowjetische Kulturattaché?«
»Ja, Joe.«
»Sehen Sie, was der aufführt?«
»Ja, Joe.«
»Kriegen wir mindestens die doppelte Garantie für die Sowjetunion – und drei Co-Produktionen«, sagte Joe. Dann schluchzte er laut auf, von übergroßer Rührung erfaßt.
Von der anderen Seite der Bühne, aus der anderen Kulisse, kam nun Carlo Marone. Ich werde Ihnen noch viel über diesen Kerl zu berichten haben, mein Herr Richter. 47 Jahre alt war Carlo damals, gewiß der eleganteste Mann Roms und Roms größter Frauenheld. Einfach unfaßbar gut sah dieser Carlo aus. Das hatte ihm natürlich schon sehr zu der Zeit geholfen, als er noch Zuhälter gewesen war. Jetzt war seine Schönheit so etwas wie das Sinnbild der Männlichkeit und der Schönheit Italiens geworden. Und Carlo Marone war kein Zuhälter mehr. Seit vielen Jahren war er der größte Filmverleiher des Landes und hatte exklusiv alle Filme von SEVEN STARS in seinem Programm. Die allein machten ihn zum Dollarmillionär. Sein Schloß auf dem Jet-Set-Hügel Pincio war ein
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