Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
Haarsträhnen hervorsahen, als sei sie direkt aus dem Bett gekommen, stürzte ins Zimmer. In das Zimmer von Dr. Ruth Reinhardt. Es war acht Uhr früh an diesem 27. November 1971 und noch fast dunkel. In Paris regnete es. Ich hatte an Ruth Reinhardts Schreibtisch gesessen.
    Die kleine Frau war völlig außer Atem, Regen troff von ihrem Schirm, sie konnte kaum reden, so erregt war sie. »Frau Doktor! Wie konnte das geschehen? Warum haben Sie das nicht verhindert? Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen aufpassen! Und jetzt ist Viviane tot, tot, tot!« In der Dunkelheit des Zimmers war kaum etwas zu erkennen – auch ich nicht. Die kleine Frau stolperte mehr, als sie lief, auf mich zu und schrie und weinte: »Tot! Tot! Tot! Sie haben ihr das neue Mittel gegeben! Und damit haben Sie meine kleine Viviane umgebracht, und ich …« Sie war nahe herangekommen und erkannte ihren Irrtum. »Oh … Verzeihen Sie … Das ist doch Frau Doktor Reinhardts Zimmer …«
    »Ich warte hier auf Frau Doktor Reinhardt«, sagte ich. »Sie ist bei einem kranken Kind. Sie wird bald wiederkommen.«
    Die kleine Frau preßte eine Hand vor den Mund, starrte mich an, dann lief sie wieder auf den Gang hinaus. Und ich saß da und fürchtete mich, ja, entsetzlich fürchtete ich mich plötzlich.
    Das, mein Herr Richter, ereignete sich, noch einmal gesagt, am Morgen des 27. November 1971, einem Samstag. Tags zuvor hatte ich meine Einwilligung gegeben, Babs mit dem noch nicht genügend erprobten Mittel zu behandeln. In der Zwischenzeit hatte sich viel und nichts ereignet. Nichts: Babs’ Leben hing weiterhin an einem hauchdünnen seidenen Faden. Ruth Reinhardt und Sigrand waren, nachdem ich die Einwilligung gegeben hatte, schlafen gegangen. Die Behandlung übertrugen sie Kollegen mit der Auflage, sie sofort zu rufen, falls eine Verschlechterung eintreten sollte. Sigrand und Ruth Reinhardt schliefen in der Klinik. Ich war nach Hause (nach Hause!) zu Suzy gefahren. Sie war fortgewesen, als ich kam. Ich hatte gerade noch die Kraft aufgebracht, Bracken im LE MONDE anzurufen. Ich gab ihm Suzys Telefonnummer, unter der ich nun zu erreichen war, und auch ihre Adresse. Denn mit der Telefonnummer allein bekam er auch die Adresse ganz leicht heraus, wenn er wollte. Also dann lieber gleich Freundschaft, Freundschaft. Bracken hatte ja den großartigen Einfall gehabt, Sylvia, als sie so tobte, weil sie zu Babs wollte und wir ihr klarmachten, daß dies unmöglich war, zu erzählen, ich sei in das Studio eines Freundes eingezogen – Sie erinnern sich, mein Herr Richter? Damit nichts passieren konnte, sagte ich Bracken nun also am Telefon, wir sollten uns darauf einigen, daß dieses Studio im, na beispielsweise Siebenten Arrondissement, in der Avenue de Saxe, liege. Dort, falls Sylvia sich danach erkundigte (früher oder später würde sie es ohne Zweifel tun), gab es kein Telefon, hélas. Anschließend sagte ich Bracken, wie elend es um Babs bestellt war und was ich riskiert hatte. Bracken war sehr still gewesen.
    »Konntest nichts anderes machen, Phil«, hatte er zuletzt gesagt. »Jetzt können wir nur hoffen. Ach ja, da ist noch was …«
    »Was?«
    »Dieser Nachtportier, ich vergesse immer den Namen …«
    »Lucien Bayard.«
    »Ja. Also Bayard sagt, ihr hättet eine Verabredung gehabt, um etwas Wichtiges zu besprechen. Er weiß nicht, wie er sich nun verhalten soll.« Das Rennen am nächsten Sonntag in Auteuil! Die drei Geheimtips! ›La Gauloise‹, ›Poet’s Bay‹ und ›Valdemosa‹. Die Dreier-Einlaufwette. Und alle möglichen ›Couplés‹. Er setzte doch für mich stets auf die Pferdchen, der alte Lucien.
    »Was hast du gesagt, wo ich bin?«
    »Verreist. Aber ich kann dich telefonisch erreichen.«
    »Okay«, hatte ich geantwortet, »dann sag ihm, er soll völlig nach Gutdünken vorgehen, ich bin mit allem einverstanden.«
    »Ja, Phil.«
    »Ruf du mich nicht aus dem Hotel an bei meiner Freundin. Ruf mich nie aus dem Hotel an – bei der Sylvestre nicht und nicht in der Klinik. Ich bin jeden Tag bei Babs. Abends gehe ich zu Sylvia.«
    »Und was sagst du ihr?«
    »Daß es Babs besser und besser geht natürlich.«
    »Und wenn …«
    »Hör auf!« hatte ich gesagt und eingehängt. Das ist das letzte, woran ich mich erinnern kann. Sofort danach muß ich eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, war es sechs Uhr nachmittags und finster. Diesmal fuhr ich mit einem Bus und der Métro zum Hôpital Sainte-Bernadette. Suzy hatte ich einen Zettel auf den

Weitere Kostenlose Bücher