Niemand ist eine Insel (German Edition)
Fotografen, der da vor mir lag, diesen Fotografen kannte ich. Wir hatten uns schon einmal geprügelt. Der bekam offenbar nie genug. Vielleicht hatte er was davon. Dieser Fotograf da war derselbe, der mit einem Kollegen vor ein paar Tagen ins Appartement 419 im Hotel LE MONDE gekommen war. Der Kleine. Hagere. Der mit der Hasenscharte. An der Hasenscharte erkannte ich ihn.
Die Pneus des Lieferwagens wimmerten noch einmal, als Rod die Kurve hinter der Ausfahrt nahm. Der Motor heulte auf. Junge, Junge, hatte Bratken einen Zahn drauf. Hoffentlich knallt der jetzt nicht mit einem anderen Wagen zusammen, dachte ich, während ich sah, wie Dr. Sigrand und die Pfleger Hasenscharte aufhoben – der Fotograf jammerte laut – und forttrugen. Alle gingen mit ihm, auch Ruth. Ich war plötzlich allein. Ich sah mich um, und weil es so finster war, fand ich die Kamera nicht. Ich kroch auf allen vieren über den dreckigen, nassen Hof und suchte eine Weile. Dann hatte ich die Kamera gefunden. Trotz aller Trampelei war sie nicht zu Bruch gegangen. Ich holte den Film heraus, der damit unbrauchbar wurde, und steckte den ruinierten Film ein.
Beim Suchen nach der Kamera hatte ich auch die Brille mit den dunklen Gläsern gefunden. Sie war heil geblieben. Ich setzte sie auf.
14
E ine halbe Stunde später stand ich wieder in dem abseits gelegenen Zimmer. Diesmal lag Hasenscharte auf dem Bett, auf dem Sylvia gelegen hatte. Die Ärzte hatten ihn auf der Unfallstation untersucht und geröntgt, etwas mit seinem Kiefer war nicht in Ordnung, hatte mir Ruth gesagt, ich weiß nicht, was, es war mir scheißegal. Sie hatten ihn mächtig behandeln müssen mit Spritzen gegen Wundstarrkrampf und Spritzen gegen die Schmerzen, und er hatte Pflaster im Gesicht und einen Arm in der Schlinge. Er war Italiener und im Pariser Büro einer sehr großen römischen Bildagentur angestellt. Sie hatten alle möglichen Ausweise, auch einen Paß, bei ihm gefunden. Ich wußte, wie alt er war, wie seine Agentur hieß, wo er in Paris lebte, wo sich das Büro seiner Agentur in Paris und wo sich die Zentrale in Rom befanden. Angelo Notti hieß Hasenscharte. Einunddreißig Jahre alt, ledig. Sie hatten mich auf meine Bitte mit ihm allein gelassen. Angelo Notti sagte mir in schlechtem Französisch, was er nun alles tun werde. Er hatte vor, eine Menge zu tun. Anzeige bei der Polizei. Bericht an seine Agentur. Fotos besaß er keine mehr, aber er konnte eine hübsche Geschichte erzählen von einer Frau, nämlich Sylvia Moran, die hier fortgetragen worden war auf einer Bahre, er hatte sie sofort erkannt. Brauchte keine Fotos. Die Geschichte genügte. Schöner Skandal. Fressen für die Zeitungen und das Fernsehen und den Rundfunk.
Ich ließ ihn reden, weil ich sah, daß Reden ihm weh tat. Na, er redete noch eine Menge. Er war seit jenem Überfall im LE MONDE hinter mir her. Ich war ihm nur immer wieder entkommen. Weil er nämlich den Fehler gemacht hatte, das LE MONDE zu bewachen. Und da wohnte ich ja nicht mehr. Heute hatte er Glück gehabt: Er war Bracken gefolgt, und als der mit dem Wäschereiwagen losfuhr, war er ihm mit seinem kleinen Fiat nachgerast. Und nun hatte er mich in der Ecke: Was tat Sylvia im Hôpital Sainte-Bernadette? Was war mit ihr geschehen? Was war mit Babs geschehen? Wo war die? Wohin wurde Sylvia gebracht? Er brauchte nur die Fragen zu stellen bei der Polizei. Die Polizei würde den Rest besorgen. Und die Fragen würde er auch verkaufen natürlich, sagte er. An alle Zeitungen, alle Nachrichtenagenturen, den ORTF, amerikanische Korrespondenten … Das ging noch zehn Minuten so weiter, zuletzt konnte er einfach nicht mehr sprechen, es tat ihm zu weh. Er hielt die Schnauze.
Da fing ich dann zu reden an. Versuchte es mit Geld. Denn der Kerl durfte nicht quatschen, unter keinen Umständen, klar, nicht wahr, mein Herr Richter? Doch er wollte kein Geld. Heroischer kleiner Italiener. Bot ich ihm mehr. Wollte er auch nicht. Bot ich ihm also vielmehr. No can do. Der haßte mich zu sehr. Dem hätte ich zehn Millionen Dollar bieten können. Er hätte lieber 100000 Dollar von einer miesen Agentur genommen. Besaß Charakter, dieser Angelo Notti. Zuletzt schwiegen wir beide.
Ruth erschien. Sie sah sich Hasenscharte an und gab ihm noch eine Spritze. Dann zog sie mich auf den Gang und schloß die Tür.
»Bracken hat angerufen. Mrs. Moran ist wieder in der Klinik.«
Ich nickte.
»Er bleibt dort und wartet auf Ihren Anruf, hat er gesagt.«
Ich nickte.
»Aber was
Weitere Kostenlose Bücher