Niemand ist eine Insel (German Edition)
Ihnen helfe, wann immer ich kann. Was wollte ich noch sagen? Ach ja, etwas ganz Wichtiges, Monsieur!«
»Was?«
»Der Sonntag in Auteuil war doch ein warmer Regen, wie?«
»Wahrhaftig.«
»Ich danke herzlichst für Ihr so großes Geschenk, Monsieur. Und da ist nun das Wichtigste: Am nächsten Sonntag gibt es ein hochinteressantes Rennen in Chantilly. Da sind zwei Pferdchen, Monsieur, zwei Pferdchen, die verfolge ich schon seit einem Jahr, ›King’s Twist‹ und ›Le Parleur‹, also die beiden sind sensationell, wirklich … Sie müßten unbedingt …«
Na ja, mein Herr Richter, natürlich mußte ich dann unbedingt. Und ich sagte Lucien wieder, er solle nach eigenem Ermessen setzen – da fühlt er sich immer ganz besonders geehrt.
Dann rief ich Bracken an und erzählte ihm, was geschehen war, und er fluchte wie ein ganzes Hurenrudel, aber ich unterbrach ihn und sagte ihm, er solle in die Halle und zu Lucien gehen und sich die Adresse dieser Großwäscherei geben lassen. Mich sollte er vor einer Buchhandlung an der Avenue de la Grande Armée auflesen, ich würde da warten. Ich beschrieb ihm exakt, wo diese Buchhandlung war. Dann hängte ich ein und rief wieder das Krankenhaus an. Ich sagte Ruth, was wir vorhatten. Sie war einverstanden. Ich zog mich eilig an, Suzy rief ein Taxi. Zum Abschied, nachdem sie mich geküßt hatte, schlug sie mit dem Finger ein Kreuz auf meine Stirn, also wahrhaftig.
Es klappte alles exakt. Bracken kam mit dem Wäschereiwagen die Avenue de la Grande Armée herauf, hielt vor der Buchhandlung, ich stieg ein, und er fuhr weiter. Er hatte schon seinen Overall an. Ich zog den zweiten über meinen Anzug, Hut und Mantel ließ ich im Wagen. Auf den Brusttaschen unserer gelben Overalls waren die Worte BLANCHISSERIE IMPERIALE eingestickt. Schön groß und schön rot …
Nun hielt der Lift. Wir stiegen aus und eilten den Gang des Verwaltungstraktes hinunter. Kein Mensch beachtete uns. Diesmal liefen hier keine Fernsehapparate. Die Geisel-Affäre war inzwischen längst – nach über hundert Stunden – ohne Blutvergießen zu einem Abschluß gebracht worden, der so aussah, daß die Terroristen genau das erreicht hatten, was sie wollten. Ich dachte und ich erinnere mich noch genau daran: Wenn mir in der nächsten Zeit irgendein dämlicher Hund mit diesem ›Bona causa triumphat‹ kommt, klebe ich ihm ein paar. ›Die gute Sache siegt‹ – darüber kann man in unserer Zeit ja nur noch lachen!
Ich erreichte mit Bracken Ruths Sprechzimmer. Ich klopfte. Wir traten ein. Ruth saß an ihrem überladenen Schreibtisch, sie hatte den Stuhl umgedreht und blickte uns entgegen. Sie sah verstört und zu gleich ängstlich aus.
»Das ging schnell«, sagte Ruth.
»Wo ist Sylvia?« fragte ich.
»Kommen Sie mit. Ich führe Sie zu ihr.«
13
T HE BEAUTY – DIE SCHÖNHEIT.
Da lag sie auf einem Bett in einem kleinen, abseits gelegenen Zimmer, neben ihr saß ein wahrer Athlet von Arzt. Die wollten hier kein Risiko eingehen, Ruth und Dr. Sigrand. Die hatten schon genug erlebt mit Sylvia Moran. Sie sah Bracken und mich an, als wir hereinkamen. Es gab tatsächlich nur ein Bett und einen Stuhl in diesem winzigen Zimmer. Auf dem Stuhl saß der Arzt. Er hatte seine Augen auf Sylvia gerichtet, auf sie zu achten war sein Auftrag, alles andere war ihm egal. Guter Arzt. Ruth sagte mir leise, sie sei bei Babs, falls ich sie suche, und verschwand sofort. Na ja, und dann standen eben nur wir beide Sylvia gegenüber – Rod und ich. Sie starrte uns entgegen. Sie weinte. Das Gesicht war immer noch total verquollen. Blutergüsse unter den verheulten Augen und an vielen anderen Stellen. Grüne, schwarze, gelbe und braune Flecken hatte dieses Gesicht, Sie können sich das einfach nicht vorstellen, mein Herr Richter. Das war nicht nur ein frisch geliftetes Gesicht. Der Besitzerin dieses Gesichtes war eben noch etwas zugestoßen, seelisch, und auf dem Gesicht hinterläßt auch so etwas seine Spuren. Es war das erste Mal, daß mir Sylvia leid tat. Dieses Gesicht …
»Sag mal, bist du wahnsinnig geworden, du undankbare …«, begann Bracken, aber ich unterbrach ihn.
»Halt’s Maul«, sagte ich zu Bracken. »Halt bloß dein dämliches Maul.« Ich trat an Sylvias Bett. Der Arzt nickte mir kurz zu. Dann sah er wieder Sylvia an. Eben sein Auftrag.
»Mein armes Hexlein«, sagte ich. Und zum erstenmal sagte ich es ehrlich, zärtlich. Sie sah einfach zu schlimm aus, und sie hatte schließlich ihr Kind sehen wollen,
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